Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 18. Juli 2005, Heft 15

Vom Wählen

von Erhard Crome

Iran, das bekannte unbekannte Land. Mit dem Schah ließ es sich trefflich Geschäfte machen, vom Westen wie vom Osten aus. Als die Ayatollahs dann an die Macht kamen, herrschte zunächst Ungewißheit. Der Osten empfand Genugtuung, als die USA-Botschaft in Teheran besetzt wurde. Niemand aber wußte, ob das nicht auch mit der sowjetischen Botschaft bezweckt war. Heute wird gesagt, der nunmehr gewählte Präsident Ahmahdi-Neschad und seine Freunde seien als junge Kämpfer der Revolution dazu entschlossen gewesen.
Imperien haben ein Langzeitgedächtnis. Die USA vergessen die Schmach nicht, wie auch nicht den Verlust jener einzigartigen geopolitischen Position, die sie mit dem Sonderverhältnis zum Schah hatten. Der Krieg der USA gegen den Iran bleibt auf der Tagesordnung, solange dort nicht wieder ein Föderaten-Regime errichtet ist. Der Iran bleibt ein Thema, wenn man über kommende Kriege des Imperiums spricht. Wahrscheinlich sind es vor allem die anhaltenden Kämpfe und Opfer im Irak, die den nächsten imperialen Krieg in der Region aufhalten. So wird es wohl nicht mehr Bush II sein, der den Krieg gegen den Iran auslöst, aber vielleicht ist es unter Bush III dann so weit (wenn Jeb die Rolle des Imperators spielt).
Vor diesem Hintergrund ist genauer über das Thema Demokratie zu reden. In Lwiw sagte mir gerade jemand, er sei ehrlichen Herzens für Juschtschenko auf die Straße gegangen. Jetzt habe er aber in einer amerikanischen Zeitschrift gelesen, die ganze »orangene Revolution« sei eine erfolgreiche amerikanische Operation gewesen, um den russischen Einfluß in der Region zurückzudrängen. Er sei aber nicht für die Amerikaner auf der Straße gewesen, sondern für seine eigenen demokratischen Rechte.
Auch das Verhältnis der iranischen Demokraten – die mit dem Ayatollah-Regime nichts am Hut haben – zu ihren demokratischen Idealen ist nicht das von Knechten des Imperiums. So verweist Navid Kermani in seinem kürzlich in zweiter Auflage erschienenen, die Lage im Iran und der der Demokraten dortzulande sehr kenntnisreich darstellenden Buch, sehr zu Recht auf Mossadegh. Der führte nicht nur die erste iranische Revolution an, sondern stellte noch vor dem Ägypter Nasser die Ressourcen des Landes unter nationale Kontrolle, um dem Land seinen Reichtum, vor allem an Öl, zurückzugeben. Unter der geistigen Hegemonie des Neoliberalismus erscheint dies heute als ein unglaublicher Vorgang. Das war es auch damals, deshalb wurde Mossadegh am 18. August 1953 durch einen CIA-Putsch gestürzt und der Schah in seine Machtvollkommenheit von USA-Gnaden eingesetzt. Die Revolution der Ayatollahs von 1979 war die Folge des Putsches, mit dem jene andere Revolution erstickt worden war. In diesem Sinne ist die islamistische Herrschaft im Iran Ergebnis US-amerikanischer Interessenpolitik – die mit allem Möglichen zu tun hat, nur nicht mit der Idee der Demokratie.
Kermanis Fazit lautet schließlich, das Ayatollah-Regime sei nicht in der Lage, Reformen umzusetzen, die das Regime von innen verändern, um es zu retten. »Der Versuch ist gescheitert, damit aber langfristig auch das Regime.« Selbst in seinen »ureigenen Zentren, den Armenvierteln von Teheran oder Isfahan, den theologischen Hochschulen von Ghom, kann es seine Vorherrschaft nur noch durch Repressionen aufrechterhalten.«
Genau dies ist bei den jüngsten Präsidentenwahlen wohl nicht entscheidend gewesen. Vielmehr hat sich die Mehrheit der Wähler für Ahmahdi-Neschad, den Mann aus den islamistischen Milizen, der während des Iran-Irak-Krieges an der Front gekämpft hatte, entschieden. Zuvor schien es so, und das ist auch der Tenor des Buches von Kermani, als neige sich das theokratische Regime seinem Ende zu. Vergleiche hinken immer; aber wenn man die Verlaufskurve der Sowjetunion und des theokratischen Irans übereinander legt, dann war der Iran im vergangenen Jahr wohl da, wo die Sowjetunion unter dem späten Breshnew war: Die ideologischen Formeln und politischen Riten werden in der Öffentlichkeit weiter befolgt, jedoch eher formal und von vielen nicht mehr geglaubt; ein gewisser Zynismus zieht in den Alltag ein, und die Jugend geht eigene Wege. Das Regime reagiert weiter hart mit Exempeln. Dies jedoch geschieht seltener als in der Vergangenheit.
Aber war denn Gorbatschow wirklich unausweichlich? Hinzu kommt ein eigenartiges Phänomen. Die »führende Rolle« der KPdSU blieb bis zum Ende staatsrechtlich festgeschrieben, so daß Gorbatschow für sich stets in Anspruch nehmen konnte, zugleich die höchste geistliche Instanz zu sein. Die Ayatollahs dagegen hatten ihre »führende Rolle« verfassungsmäßig in einen »Wächterrat« verlagert, während in dem profanen Raum des Politischen weitgehend – vorbehaltlich der Eingriffe jenes Rates – die üblichen demokratischen Institutionen von Präsident, Parlament und Regierung geschaffen wurden, die regelmäßig gewählt werden. Da zugleich die neue herrschende Klasse, die aus der religiösen Nomenklatura hervorgegangen war, zunehmend reicher wurde, tat sich auch die soziale Schere weiter auf. Nun ist ja das westliche System nicht gerade ein Hort sozialer Wohlfahrt, in Zeiten des Neoliberalismus weniger denn je, und das wissen die Armen natürlich weltweit, auch im Iran. Insofern war es naheliegend, den sozialen Protest zu artikulieren, indem eine Rückkehr zu den Wurzeln, hier also zu den Verheißungen der islamischen Revolution, gefordert wird. Das gab es übrigens in der späten Sowjetunion ebenfalls. Der neue iranische Präsident ist die Folge dessen.
Kermani hatte recht, als er schrieb, der Protest werde sich neu formieren und am wahrscheinlichsten an der sozialen Frage entzünden. Er hoffte allerdings auf eine Öffnung des Landes im Sinne von Demokratie und Menschenrechten. Jetzt hat sich dagegen der Protest anders artikuliert. Aber vielleicht ist es ja überhaupt das Schicksal von Wähler-Voten in islamischen Ländern, daß nicht ein westliches Modell herauskommt, sondern ein politischer Islamismus. Das jedoch darf auf die Dauer nicht ohne Folgen bleiben für die Politik des Westens. Nicht platte Verurteilung ist gefragt, sondern intensivierter Dialog, zumal wenn es gilt, dem nächsten Krieg des Imperators Steine in den Weg zu legen.

Navid Kermani: Iran. Die Revolution der Kinder, 2. erweiterte und aktualisierte Auflage 2005, Verlag C.H.Beck München, 287 Seiten, 12,90 Euro