Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 20. Juni 2005, Heft 13

Auf, auf zum Kampf

von Walter Thomas Heyn

Lieder der fünfziger Jahre herauszubringen, rotes Zeug, Klassenkampf und »die Partei hat immer recht« – wem sträubt sich da nicht Ohr und Feder voll inbrünstigem Widerwillen gegen die vermutete Ostalgie-Fledderei. Und doch – wer kann sich der Rührung entziehen beim Anhören von Liedern wie Unsere Heimat, die ja nicht nur aus Bergen und Wäldern besteht, sondern die sich »schön gemacht« hat und der der Tau im Haar glänzt. Wie eine Mär aus der Kinderzeit, sandmännchenmäßig lullend, rein und unberührt wie Elfen, fließen diese Melodien aus dem Langzeitgedächtnis wieder zurück ins Hirn und damit ins Bewußtsein.
Denn da ist er wieder: der zweimalige durchdringe Pfiff nach dem geschmetterten »Vorwärts!« im Eisenbahnerlied und er entfaltet die gleiche Wirkung wie dazumal: Wir Kinder von Marx ohne Coca Cola haben wie die Pawlowschen Hunde unsere Lektion vor allem über die schönen Künste gelernt. Charly Ocasek hat in seinem für jede Überraschung guten Label BARBArossa unter dem Motto Leben Singen Kämpfen! eine Melange bekannter, sonderbarer, lustiger und trauriger Weisen veröffentlicht, die viel aussagen über eine Zeit, die sich heute geriert wie vergangenste Vergangenheit – töter als tot, erledigt, vergessen, überwunden, vorbei.
Natürlich muten einige der stark emotionalisierten, das heißt auf direkte propagandistische Wirkung zielenden Stücke auch grotesk an: der immergleiche einstimmige Chorgesang von Frauen und Männern, begleitet von riesigen blechblasdominierten Orchestern, die ewigen Trompetensignale, Aufrufe und Appelle. Neben den großen Orchestern gibt es aber auch etliche Bearbeitungen für Volksmusikinstrumente; Mandolinen werden gezupft, Akkordeons schunkeln Frohsinn herbei, im Aufbaulied der FDJ hört man ein Jazz-Saxophon und in Bau auf, bau auf einen richtigen swingigen Chorus. Das zum Beispiel hatte ich vergessen.
Natürlich gehört es zum Wesen einer solchen Wiederbegegnung, daß sich die Botschaften umkehren. Ernstgemeintes verleitet zum Schmunzeln und die »lustigen Stellen« erzeugen eher Bitterkeit. Manche Botschaften sind aber auch von bleibender Aktualität: »Brüder im Westen, reicht uns die Hände« – das können wir noch lange singen. »Ami höre guten Rat, bleib auf deinem Längengrad« – das wäre was für die internationale Anti-Bush-Bewegung. Aber die PARTEI, also die, die immer recht hatte, die die Ziegel zum Bau und den großen Plan gab, die verdirbt zumindestens mir den Spaß für ein Weilchen. Zu oft hatte ich erlebt, daß die Partei sich das Recht nahm, recht zu haben, komme, was da wolle und koste es, was es wolle. Ochs und Esel in ihrem Lauf – wie komme ich jetzt auf die beiden?
Aber andererseits: »meistert das Leben / zimmert das Haus und die Wiege« – mehr kann eine Selbsthilfegruppe ihren Klienten heute auch nicht auf den Weg geben. Leben Singen Kämpfen! – das ist als Slogan in seiner Einfachheit so kühn, daß es für die Gegenwart brauchbar wird. Kämpfen zum Zwecke des Weiterlebens in einigermaßen komfortabler Würde – das machen wir ja nun schon einige Jährchen. Das Singen haben wir verlernt, auch die Freude, den Genuß, das Kinderkriegen. Vielleicht sind wir deshalb so beschämend leicht zu besiegen?

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