von Herbert Wöltge
Das Marketing für das Einsteinjahr 2005 läuft mit Lichtgeschwindigkeit und in der unendlichen Breite des PR-Universums ab. Wer hätte das gedacht – an einem Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften wird die Totalität einer ungehemmten personellen Vermarktung und politischen Instrumentalisierung demonstriert, solange das Geld reicht.
Geübt wurde im letzten Jahr, als man Immanuel Kant zu seinem 200. Todestag überschwenglich und mediengerecht dem Volke darbot, in bekömmlichen Häppchen und meist auf Spruchweisheiten verkürzt. Damals gab es schon Stirnrunzeln von mißgelaunten Experten, die zu bedenken gaben, daß die Ideenwelt des großen Denkers aus Königsberg wohl kaum in so aphoristischer Form zu erfassen sei und er nach sechs Wochen wieder der öffentlichen Vergessenheit anheimfallen werde, ohne daß irgendwelche Auswirkungen, etwa von seiner Idee vom ewigen Frieden, zurückbleiben würden.
Abgesehen davon, daß es auch tatsächlich so gekommen ist, war Kant das ideale Experimentierfeld für PR-Ausschweifungen an einem bedeutenden Gelehrten. Kants PR-Auftritt fehlte es indes noch an Allseitigkeit und totalem Pep. Er wirkte, verglichen mit Einstein, eher bescheiden und unromantisch und ohne jegliches Happening. Nichts gegen Einstein, kein Wort der Kritik an ihm, er ist der ungekrönte Held der Physik des 20. Jahrhunderts, und Ruhm gebührt ihm immer und allemal, und geehrt werden muß er immer, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Aber was für eine Schwemme muß er an tosender Marketing-Flut über sich ergehen lassen! Das übertrifft alles, sogar den gewaltigen Rummel um den ersten deutschen DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn Ende der siebziger Jahre. Einstein ist Mythos, er hat die Welt verändert, er ist Ingenieur des Universums, er ist Komplex- und Querdenker, Weltbürger, Friedenskämpfer, Musiker, Jude, Demokrat, Weltbildwandler, Emigrant, Innovationsschubgeber von heute und Vorbild der Jugend. Liebe zur Wissenschaft, Forscherdrang, Erfolg, antiautoritäre Haltung (die herausgestreckte Zunge!) – alles hat er vorgelebt. So wie er soll die Jugend werden und ihr kreatives Potential ausschöpfen, an ihm soll sie sich aufrichten, statt über fehlenden Mathe-Unterricht, über volle Hörsäle, mangelnde Bibliotheksplätze, angedrohte Studiengebühren oder Akademiker-Arbeitslosigkeit zu meckern.
Soweit wir sehen können, sehen wir nur noch Einstein. Es wird alles von Einstein ausgegraben, was sich überhaupt vermarkten läßt. Es wird alles über ihn und mit seinem Bilde und in seinem Namen geben: Logo, Bücher, Flyer, Briefmarken, Ausstellungen, Sondermünze, Spruchbeutel, T-Shirts, Tassen und Lesungen in gelehrten Salons. Sein Ruhm und seine Sprüche werden nicht nur zu Lande, sondern auch zu Wasser verbreitet, das Erlebnisschiff MS Einstein geht auf große Einstein-Fahrt auf den deutschen Wasserstraßen. Einstein gehört zum Programm des Kirchentages in Hannover und des Internationalen Literaturfestivals in Berlin, er erhält eine eigene Ausstellung im Kronprinzenpalais Unter den Linden und neue Fernsehformate in allen TV-Sendern. Angekündigt sind Filme, Installationen, Theaterstücke und sogar Opern. Die Liste der Veranstaltungen und Veranstalter, die ihn würdigen, berücksichtigen oder seinen Namen verwenden, ist so lang wie der Nil bei Hochwasser.
Und es werden Lücken geschlossen, Wissenslücken. Was wissen wir schon von Einsteins Intimleben – wir werden es endlich kennenlernen, ebenso wie Verzehrgewohnheiten und politische Ansichten, Schulzeugnisse und Altersgebrechen. Mehrere ausführliche Biographien erscheinen in diesen Tagen und werden unsere Wißbegierde stillen. Trug er eigentlich Ärmelschoner bei der Arbeit an der Relativitätstheorie, war er je beim Friseur, hatte er eine belegte Zunge, mit welchem Schiff fuhr er nach Amerika? Ungezählte Fragen für Quiz und Talkshows.
Zu Kant gibt es keine Opern. Aber von ihm wissen wir: Nichts geschieht ohne Grund. Der Grund für Einsteins Remake ist markig national und innovationsoffensiv: »Mit dem Einsteinjahr 2005 wollen wir dazu beitragen, daß Deutschland sich wieder selbstbewusst darauf besinnt, was es ist: Ein Land der Denker! Ein Land der Vordenker, ein Land der Nachdenker und ein Land der Querdenker.« (Frau Minister Edelgard Bulmahn). Und der Herr Bundeskanzler: Einstein habe sein Wissen verständlich vorgebracht, Brücken gebaut »zwischen der Welt der Forschung und dem Lernort Schule«. Kinder und Jugendliche sollten sich wieder mehr für die Faszination der Wissenschaft begeistern. »Das ist der Kern unserer Innovationsoffensive, unserer Forschungs- und Bildungspolitik. Von der Tagesbetreuung über Ganztagsschulen bis zur Förderung von Spitzenuniversitäten.« Ein etwas rätselhafter Satz; zu ergänzen wäre: und bis zu Studiengebühren.
Lassen wir mal offen, ob nach dem Jubeljahr die Relativitätstheorie mehr verstanden wird als bisher. Aber sie wird am Ende zu einem öffentlichen, wenngleich undurchsichtigen Gut erhoben sein, das der Nation gehört und die Denker-Nation bezeugen soll in aller Welt. Für die Propagierung von Einstein als Idol und Kultfigur der Jugend der Welt (Schröder), die den Innovationsschub zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland vorantreiben soll, greift die Bundesregierung tief in den Beutel. Das Einsteinjahr als eine gemeinsame Initiative von Bundesregierung, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur wird mit dreizehn Millionen Euro wirtschaften können, eine Summe, die für den Unterhalt von mindestens zwei gut gehenden Wissenschaftsakademien ausgereicht hätte, ganz zu schweigen von der Alimentierung der vielen versprengten Wissenschaftlergruppen, die im Gefolge der Abwicklung auf ehrenamtlicher Basis bis heute mühsam überlebt haben. Das Land leistet sich für den Helden Einstein eine extra gegründete Einstein-Agentur, ein neues Werbe-Unternehmen, das die spectacula und miracula gehörig in Gang gesetzt hat.
Ach, Albert! Ein Seufzer zum Abschluß: Der Durchbruch zu einer neuen Kultur der Wissenschaft in Deutschland, zu der uns Einstein nach dem Wunsch des Bundeskanzlers verhelfen soll – hier bietet die Agentur kein PR-Rezept, hier ist eine Lücke im totalen Marketing. Der Durchbruch wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Wir können es ja beim nächsten Jubiläum wieder versuchen, spätestens im Jahre 2008. Da hat ein gewisser Karl Marx seinen 125. Todestag.
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