Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 31. Januar 2005, Heft 3

Betr.: Günter Gaus

Sehr geehrter Herr Sabath,

vom Verlag habe ich heute eine Mappe mit Rezensionen des Buches meines Vaters erhalten. Da ich Ihrer Besprechung (Das Blättchen, 24/2004) entnehme, dass für Sie einige sachliche Fragen offen geblieben sind, möchte ich Ihnen diese gerne beantworten – in der Annahme, dass Sie das auch nach Erscheinen Ihrer Rezension noch interessiert. Für den Titel Widersprüche hatte sich mein Vater noch selbst entschieden. (Ich habe ihn darin übrigens bestärkt. Mir gefällt der – aus Ihrer Sicht unattraktive und ziemlich nichtssagende – Titel ebenso gut wie ihm.)
Wenige Tage vor seinem Tod hatte er mich darum gebeten, unbedingt dafür Sorge zu tragen, dass sein Text als Fragment erscheint, falls es ihm nicht mehr vergönnt sein sollte, das Manuskript zu beenden. Ich habe dafür allerdings nichts tun müssen: Der Verlag hat uns – meiner Mutter und mir – gegenüber sofort erklärt, das Buch gerne veröffentlichen zu wollen, falls wir damit einverstanden wären. Was wir selbstverständlich waren. Die Gründe, warum meine Mutter und ich uns nicht dazu »aufrafften«, das Essay Warum ich kein Demokrat mehr bin in den Anhang aufzunehmen, wohl aber den Abituraufsatz meines Vaters, sind wenig geheimnisvoll: Der Autor hat es so gewünscht. Der Abituraufsatz ist ihm zeitlebens wichtig geblieben, und das von Ihnen zitierte Essay – das ihm in der Tat ebenfalls wichtig gewesen ist – sprengt den zeitlichen Rahmen des Fragments. Mein Vater war ein sehr systematisch denkender und handelnder Mensch.
Auch die Frage nach der Reaktion meines Vaters auf neue (?) Erkenntnisse hinsichtlich der Rolle von Herbert Wehner im Moskauer Exil kann ich Ihnen beantworten. Er hatte zwar keine Möglichkeit mehr, das von Ihnen erwähnte Buch zu lesen, die ersten Meldungen darüber im Spiegel jedoch noch unmittelbar vor seinem Tod zur Kenntnis genommen, und er war über die »große Linie« der sogenannten Enthüllungen informiert. Er hielt den publizistischen Umgang mit diesem Lebensabschnitt von Herbert Wehner sowohl für geschichtsvergessen wie auch für selbstgerecht. Und er hat ausdrücklich betont, dass er keinerlei Veränderungen an dem von ihm verfaßten Kapitel über diesen Mann für erforderlich hielt. (Wenn Sie mir in diesem Zusammenhang eine weitere persönliche Bemerkung gestatten: Ich teile seine Ansicht.) Gerne hätte ich Ihnen all das auch schon früher erzählt, wenn Sie mich denn gefragt hätten. Sie haben es – »aus welchen Gründen auch immer« – nicht getan. Ich hoffe dennoch, Sie mit meiner mail nicht gelangweilt zu haben und wünsche Ihnen schöne Feiertage.

Mit freundlichen Grüßen, Bettina Gaus

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Sehr geehrte Frau Gaus,

vielen Dank für Ihre Mail. Ich fand Ihre Begründungen über weite Strecken sehr nachvollziehbar – das ist doch schon etwas … Indes bleibt mir dennoch zu bemerken, daß ich den Nichtabdruck des Artikels Warum ich kein Demokrat mehr bin nach wie vor sehr bedauerlich finde, selbst wenn es Ihrer Ansicht nach den Rahmen des Buches gesprengt hätte. Weil ich den Beitrag nämlich für sehr, sehr wichtig halte und der Meinung bin, daß er nicht genug öffentlich bedacht wurde. Insbesondere viele seiner einstigen Weggenossen hielten sich – so mein Eindruck – in diesem Punkte sehr bedeckt.
Dazu gehört meines Erachtens auch der Umstand, daß seine Freitag-Mitherausgeberschaft und -Autorenschaft in fast keinem Nachruf erwähnt, geschweige denn gewürdigt wurde. Mit Ausnahme, so ich es überblicke, des Nachrufes im Spiegel. Das halte ich nun für keinen Zufall. Was die Angelegenheit Wehner angeht, da gibt es übrigens zwischen Ihnen und mir keinen Dissenz … Wie auch immer: Es gibt relativ selten eine so sachliche Reaktion auf einen Beitrag wie die Ihre. Das wollte ich Ihnen gesagt haben.

Freundliche Grüße Wolfgang Sabath

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Sehr geehrter Herr Sabath,

herzlichen Dank für Ihre Antwort. Um es ein weiteres Mal zu sagen: Die Ansicht, dass Artikel jüngeren Datums den Rahmen des – vorliegenden – Manuskripts gesprengt hätten, habe nicht ich, sondern diese Ansicht hat mein Vater vertreten. Wert lege ich auf die Tatsache, dass ich in meinem Nachwort – in der Tat im Unterschied zu den meisten anderen Autoren – sein Engagement für den Freitag ausdrücklich gewürdigt habe. Das meinte ich meinem Vater schuldig zu sein. Ungeachtet der Frage, wie ich selbst diese Zeitung bewerte. Es freut mich, dass zwischen Ihnen und mir im Blick auf die Bewertung der Biographie von Herbert Wehner kein Dissens zu bestehen scheint. Noch wichtiger finde ich allerdings die Tatsache, dass die Einschätzung meines Vaters offenbar mit der Ihren übereinstimmt. Für Ihre freundlichen Bemerkungen hinsichtlich der Sachlichkeit meines Beitrags danke ich. Erlauben Sie mir trotzdem eine letzte persönliche Bemerkung. Die Formulierungen »über weite Strecken sehr nachvollziehbar« und: »das ist doch schon etwas« finde ich im Blick darauf, dass sie sich ausschließlich auf letzte Wünsche meines verstorbenen Vaters beziehen, etwas seltsam. Sehen Sie mir diese – vielleicht übertriebene Empfindlichkeit – bitte nach.

Mit freundlichen Grüßen, Bettina Gaus