von Detlef Kannapin
Die Icestorm Entertainment GmbH darf laut einer Vereinbarung mit der DEFA-Stiftung nicht nur sämtliche DEFA-Filme auf VHS und DVD vermarkten, sondern auch alle Filme, die vom früheren DEFA-Studio für Synchronisation für den Einsatz in der DDR vorgesehen waren. Da westeuropäische und nordamerikanische Filme, die in der DDR zu sehen waren, in der Regel mit der bundesdeutschen Synchronisation eingekauft wurden, handelt es sich hierbei vor allem um Filme aus Osteuropa, bevorzugt aus der UdSSR, sofern die Rechte frei sind, was zum Beispiel für Filme aus Polen, der ČSSR und Ungarn nur noch sehr bedingt gilt.
Ein ähnlicher Kontrakt bezieht sich auf Filmausgaben des Staatlichen Filmarchivs der DDR, wenn Rechtsfragen nicht mit der Gesetzeslage des Bundesarchivs-Filmarchiv kollidieren. Icestorm vertreibt die Filme offenbar bundesweit, obwohl sich der Verwertungskatalog ursprünglich nur auf das Gebiet der Neuen Bundesländer beschränkte, weil westdeutsche Synchronstudios die osteuropäischen Filme zum Teil selber bearbeiteten.
Seit 2003 existiert bei Icestorm eine DVD-Vertriebsreihe mit dem Titel Russische Klassiker. Geschenkt ist, daß eigentlich sowjetische Filmklassiker gemeint sind und es mehr als müßig wäre, an dieser Stelle noch einmal die einzelnen Nationalitäten zu dechiffrieren. Nicht geschenkt ist allerdings der Umgang mit dem sowjetischen Filmerbe, der zweifellos seinen Ursprung in den Manipulationen der DDR-Institutionen hat, der jedoch verlängert in die Gegenwart eine reine Verantwortungslosigkeit ist, die einer faktischen Filmzensur gleichkommt. Die Leidtragenden sind die in die Irre geführten Zuschauer sowie die Regisseure Sergej Eisenstein und Michail Romm, die sich nicht mehr wehren können.
Von den sechs vollendeten Filmen Eisensteins werden durch Icestorm vier auf DVD verkauft: Panzerkreuzer Potemkin (1925), Oktober (1927), Alexander Newski (1938) und Teil I und II von Iwan der Schreckliche (1944/45). Panzerkreuzer Potemkin liegt nur gekürzt und verstümmelt vor. Es fehlen elementare Szenen der Gewalttätigkeit der zaristischen Machthaber, und sogar die berühmte Treppenszene von Odessa ist durch Schnitte ihrer Suggestions- und Empörungskraft beraubt. Einzelne deutsche Eisenstein-Forscher vermuten, daß diese Fassung auf eine Moskauer Version des Films aus dem Jahre 1949 zurückgeht. Da aber die Schnitte exakt dieselben sind, die die deutsche Zensur zur Erstaufführung 1926 vornahm, liegt der Verdacht nahe, daß das aus dem alten Reichsfilmarchiv hervorgegangene Staatliche Filmarchiv der DDR einfach diese Fassung ins DDR-Fernsehen brachte und Icestorm sie aus Bequemlichkeit weiter verwendet.
Oktober, der mit Abstand intelligenteste Film Eisensteins und eines der anspruchsvollsten Werke der Filmgeschichte überhaupt, ist unzulässig mit Echttönen unterlegt (wie zum Beispiel Hurra-Gebrüll, mechanischem Aufschlagen von Stiefeln, Hufen und technischen Geräten), die für eine Stummfilmadaption absolut unerträglich und kontraproduktiv sind. Alexander Newski und Iwan der Schreckliche weichen in den Dialogen teilweise extrem vom Original ab, so daß die Icestorm-Editionen kaum brauchbar sind. Noch dazu wird die opulente Farbsequenz aus Iwan der Schreckliche schlicht in schwarz-weiß reproduziert, was den Intentionen Eisensteins sowohl ideologisch als auch dramaturgisch komplett widerspricht.
Das Paradoxe an der deutschen Filmsituation ist, daß die Filme Eisensteins fast nur in Importen halbwegs authentisch zugänglich sind. Einige meiner DVD-Exemplare stammen aus Australien und China. Lediglich Die Generallinie (1926-29) ist in Deutschland inzwischen restauriert greifbar und eben kein Icestorm-Produkt.
Nicht besser ergeht es dem wohl wichtigsten Dokumentarfilm über Hitlerdeutschland, dem Film Der gewöhnliche Faschismus (1965) von Michail Romm. Die Rezeptionsgeschichte des Films ist international einigermaßen kompliziert, weil allein vier verschiedene Filmvarianten zirkulieren: ein russisches Original, das nur diejenigen gesehen haben dürften, die seinerzeit zufällig in Moskau weilten, eine schwedische Fassung mit dem Titel Triumph der Gewalt als Gegenstück zu Riefenstahls Triumph des Willens mit drastischen Gewaltszenen, und schließlich zwei deutsche Versionen, in denen die Gewaltaspekte des schwedischen Pendants nicht vorhanden sind und die zu allem Überfluß dann noch untereinander gegenläufige Konturen aufweisen. Der auch für die DDR nicht unbedeutende Zugang zur Person Adolf Hitlers beziehungsweise zum fruchtbaren Umfeld für seinen Aufstieg wird in der ostdeutschen Spielart des Films dort abgeschwächt, wo Szenenkomplexe auf die Verführbarkeit der deutschen Bevölkerung anspielen.
Diese Punkte sind wiederum Bestandteile der westdeutschen Fassung, in der jedoch im Epilog der ganze Bereich herausgeschnitten wurde, mit dem Romm auf westliche Wiederaufrüstungstendenzen aufmerksam machen wollte. So begrüßenswert es an sich ist, den Film Der gewöhnliche Faschismus zumindest partiell dem Vergessen entrissen zu haben, so fragwürdig ist doch die Laxheit, mit der ohne Rücksicht auf den historischen Kontext und die Entstehungsumstände ein unvorbereitetes Publikum traktiert wird.
Die Icestorm Entertainment GmbH scheint kein Interesse daran zu haben, filmgeschichtlich korrekt zu arbeiten. Sonst wäre ihren Mitarbeitern aufgefallen, daß sie Gemischtwaren feilbietet, die frühere Zumutungen für unmündig gehaltene Bürger als neue Zumutungen für aktualisierte Analphabeten aufbereitet. Der Skandal besteht darin, daß sich niemand gegen diese Klitterungen gewehrt hat.
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