von Wolfram Adolphi
Hasses Lada ist das, was man einen Eventschuppen nennt. Oder eine Musikantenscheune. Gelegen ist Hasses Lada in Schwedens Südwesten auf dem Weg von Båstad nach Torekov an der Kattegatküste. Båstad ist ein hübscher kleiner Badeort mit malerischen, am Hügelzug sich entlang ziehenden Gassen, die gesäumt sind von einstöckigen hellen Holzhäuschen und prächtigen Malvenarrangements, ferner mit einer belebten Einkaufsstraße, einem gemütlichen Hafen und einer berühmten Tennisanlage, auf der nicht nur die Könige dieses Sports, sondern auch die richtigen aus Stockholm schon gespielt haben. Und Torekov, draußen, an der westlichen Spitze der Halbinsel – das ist noch ein bißchen kleiner, hat aber auch eine schöne Kirche und natürlich auch wunderbare Blumen, und weil es an drei Seiten von Wasser umgeben ist, schmeckt das Langusten-, Krabben- und Krebsgericht im Hafenkrug noch ein bißchen ursprünglicher.
Und zwischen Båstad und Torekov also direkt an der Straße ein Einkaufszentrum. Nichts im Komplex Überdachtes mit Tief- oder Hochgarage, sondern einfach ein paar flache, barackenähnliche Gebäude mit einem Gemüseladen, der – wie leicht zu sehen ist – seinen Kohl und seine Kartoffeln, seine Zwiebeln und Mohrrüben gleich von den Feldern nebenan bezieht, einem Gartencenter, wie es woanders auch zu finden ist, einem Bäcker- und einem Fleischerladen und ein paar Buden für Spielzeug, Nettigkeiten fürs Wohnzimmer und Küchengerät. Und gleich dahinter Hasses Lada. Auch barackenähnlich. Und eigentlich nicht einladend. Zumal, als wir – vorsichtig, weil suchend – an einem Sonnabend im Juli zwei Stunden vor dem abendlichen Veranstaltungsbeginn dort auftauchen. Die Läden sind geschlossen, die Asphaltflächen zwischen den Baracken – sonst zum Parken genutzt – verwaist, und an Hasses Lada prangt zwar ein riesiges Plakat, aber das lädt zum Vorweihnachtsgaudium im Dezember ein. Wir indes wollen doch zu Carmen! In Hasses Lada! Keine Menschenseele weit und breit, die man fragen könnte. Nur die Sonne scheint – und das auch in Schweden mit bemerkenswerter Heftigkeit.
Es kommt uns ein kleiner Unmut an. Die Eintrittskarten stimmen, das Datum stimmt. Wer hat uns in die Irre geleitet? Das Touristenbüro von Båstad? Dann müssen wir am Montag hin, Klarheit schaffen. Die Plakataushänge? Aber halt – es sind ja gar keine zu sehen! Auch in Båstad nicht, wohin wir fürs Abendbrot noch einmal zurückgefahren sind. Aber da waren doch welche, vor einer Woche, als wir die Karten kauften!
Aufklärung wird uns nicht, also fahren wir wieder hinaus. In zehn Minuten soll es losgehen, sagen uns unsere Tickets, und tatsächlich: vor Hasses Lada eine lange Schlange Wartender. Geduldig stehen sie da, die gut gebräunten Damen und Herren mittleren und älteren Jahrgangs in hellen Kleidern und Anzügen, und als die Tür aufgeht, schreiten sie – und wir – gemessen hinein. Es scheint, denken wir, ausverkauft zu sein, und da haben sie einfach alle Reklame wieder eingezogen. Sehr nett, nicht wahr – aber uns Unwissende hätten sie fast wieder verscheucht damit. Nun aber ein paar Schritte durch die Nachbildung einer Wildwest-Siedlungs-Gasse – dann ist der Hauptsaal erreicht. Auch hier Wildwest-Atmosphäre: am Tresen und an den Wänden rauchende Colts und markige Sprüche, und von der Decke hängen Getreidesäcke.
Und wo, um alles in der Welt, soll Carmen sein? Sie wartet noch: Erst, bis alle Platz gefunden haben auf den Stapelstühlen, die in Sechserreihen um die zehn Meter lange und fünf Meter breite ebenerdige Spielfläche aufgestellt sind; dann, bis an der vierten Seite des Rechtecks das Orchester Position bezogen hat – es besteht nur aus fünf Musikern: einer Dame am Klavier, die das alles für solch eine kleine Besetzung eingerichtet hat, zwei weiteren Damen an Geige und Bratsche und zwei Herren an Cello und Klarinette –; und schließlich – na klar, wir sind doch nicht neu in dieser Oper – wartet sie auch, bis die Ouvertüre verklungen und die erste Szene, ja, die mit der Micaela, vorüber ist.
Aber dann ist sie da, die schwedische Carmen, und gleich doppelt. Denn das haben sie sich toll ausgedacht, diese Meisterinnen und Meister der kleinen, fürs Wandertheater geeigneten Opernform: Carmen kommt hier nicht nur als himmelnde und herzende, schmiegende und schmachtende Sängerin, sondern zugleich als irrwischähnliche stumme Tänzerin. Üppig die eine, gertenschlank die andere, beide im gleichen lockenden Kostüm – doppelt verzweifelter Don José, doppelt genasführter Escamillo. Und doppelt verzaubertes Publikum, das nur wenige Meter vom Spektakel entfernt teilhaben kann an jeder Geste, jedem Blick.
Carmen in Hasses Lada – kein Weltereignis, gewiß, und auch gar nicht »modern«. Sie sehen aus, wie man aussah im Spanien des Jahres 1820 – die schwedischen Sängerinnen und Sänger. Aus sechzehn Rollen, die das Libretto ausweist, hat man sechs gemacht, mit zwei weiteren Frauen ist schon der Chor komplett, das Ballett ist ersetzt durch die eine grazile Tänzerin. Aber was für eine unbändige Spielfreude – und was für ein makelloser Gesang. Spitzenkönner sind da zugange aus der Oper von Schonen, und sie sparen nichts auf.
Der Sommer in Schweden – er hält viele solche Überraschungen parat. Man gibt etwas auf Konzerte in Kirchen und Gemeindezentren. Und wenn die zu klein sind – dann darf es auch mal Hasses Lada sein.
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