Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 24. Juli 2006, Heft 15

Berlin in den Zwanzigern

von Mathias Iven

Es gibt verschiedene Wege, sich der Geschichte einer Stadt zu nähern. An ihre »ruhmreichen« Zeiten zu erinnern, ist sicherlich eine Möglichkeit. Denkt man beispielsweise an den Mythos der »Goldenen Zwanziger«, so kommen einem sicherlich noch ein paar Namen in den Sinn oder auch das Bild der einen oder anderen Örtlichkeit – aber das war es dann meistens schon. Michael Bienert und Elke Linda Buchholz sind den komplexen Beziehungen im Berlin der Zwanziger Jahre nachgegangen und haben versucht, mit ihrem Wegweiser durch die Stadt ein Gefühl für diese rasante und quirlige Zeit lebendig werden zu lassen. »Tempo« hieß damals, so betonen es die Autoren mit dem Blick auf heutige Entwicklungen, »nicht nur Schnelligkeit, sondern auch Ziellosigkeit, meinte Beschleunigung als Selbstzweck«. Und sie zitieren Egon Friedell, der bereits 1912 schrieb: »Berlin ist ein wundervoller Elektromotor, der mit unglaublicher Präzision, Schnelligkeit und Energie eine Fülle von komplizierten Arbeitsleistungen vollbringt.«
In sieben Kapiteln wird man, ausgehend von der Berliner Novemberrepublik, mit den damaligen Entwicklungen der Technik, der Kunst und des Bauens vertraut gemacht; man erfährt einiges über die Presse und die »Asphaltliteratur«; die Musik-, Theater- und Kinoszene werden schlaglichtartig beleuchtet. Thematisch gesondert betrachtet werden der Kurfürstendamm und Berlin als die Metropole des Verbrechens. Und schließlich widmet sich das den Band abschließende 11. Kapitel dem Thema Verfolgung, Exodus und Erinnerung.
Inhaltlich wird dem Leser sehr viel geboten, der Stil ist flüssig. Allerdings – und das ist sehr schade! – taugt das Buch auf Erkundungszügen durch die Stadt nur bedingt als begleitender »Wegweiser«. Denn daß sich im Text die Adressen der zahlreichen beschriebenen Orte finden, ist eine Sache (für eine Neuauflage wäre übrigens die Adresse des Einsteinturmes zu korrigieren), daß eine entsprechende aktuelle Übersichtskarte ebenso wie ein Ortsregister dem schnelleren Auffinden dienlich wären, ist eine andere. Im Buch findet sich, neben ein paar dürftigen Ausschnittsskizzen, lediglich ein wenig aussagekräftiger historischer Plan von Berlins Mitte aus dem Jahre 1932!
Sehr viel gründlicher gearbeitet – im Umfang allerdings auch wesentlich bescheidener – ist eine unlängst erschienene, mit ausgezeichneten Fotos und Bilddokumenten versehene Publikation zum Thema Künstlerateliers in Charlottenburg. Der zeitliche Bogen wird hier von der Jahrhundertwende bis in die Jetztzeit gespannt und widmet sich unter anderem den Ateliers und Wohnungen von Hans Grisebach, Ernst Herter, Bruno Schmitz, Heinrich Zille, Erich Mendelsohn und Georg Kolbe. Eine informative und aufschlußreiche Einführung zur Künstlerstadt Charlottenburg sowie ein Beitrag unter dem Titel Das Künstlerhaus und seine Entwicklung runden diese gehaltvolle Darstellung ab.

Michael Bienert, Elke Linda Buchholz: Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt, Berlin Story Verlag, 278 Seiten, 19,80 Euro; Claudia Marcy (Hrsg.): Raum für die Kunst. Künstlerateliers in Charlottenburg, Edition A-B-Fischer, 87 Seiten, 10 Euro