Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 10. Juli 2006, Heft 14

Der goldene Hahn

von Liesel Markowski

»Ein reines Märchen« hat der Komponist dieses Werk genannt. Sein letztes: Nikolai Rimski-Korsakow starb vor der Uraufführung 1909. Von der Zensur geforderte Änderungen hatte er verweigert. Denn das Opernmärchen nach Puschkin ist ganz und gar nicht naiv, sondern eine bissige Satire auf die zaristische Selbstherrschaft nach der russischen Revolution von 1905. Diese Seltenheit auf deutschen Bühnen hat nun Berlins Komische Oper herausgebracht: in der Inszenierung ihres Intendanten Andreas Homki und unter der musikalischen Leitung von Michail Jurowski.
Das eindeutige Plus dieser Aufführung gilt dem Dirigenten und dem Orchester, gilt der Musik. Sie erblühte farben- und gestenreich, von russischem und orientalischem Kolorit durchzogen. Hier waren melodische Zartheit und chromatische Opulenz wie martialische Schärfe, drastischer Humor und grelles Tönen plastisch ausformuliert.
Auf der Szene dagegen kaum. Die Geschichte vom Zaren Dodon, der nur noch seine Ruhe haben will und sich in Notsituationen seines Reiches vom goldenen Hahn – Geschenk eines Astrologen – alarmieren läßt, eines Zaren, der seine Söhne gegen drohende Gefahr ausschickt, die sich dabei gegenseitig umbringen, eines Zaren schließlich, den die orientalische Königin Schemacha verführt und ihn besiegt, so daß er vom goldenen Hahn getötet wird und sein Volk ratlos zurückläßt – diese Geschichte wird szenisch indifferent und konturlos erzählt. Unklar bleibt, wo und wann sie stattfindet, offenbar überall von 1905 bis heute. So tummeln sich Dodon und sein Gefolge auf dem Kugeldach eines Industriecontainers mit riesigem Entlüftungsrohr, das als Ein- und Ausstieg dient. Ein abstraktes, unverändert beibehaltenes starres Bühnenbild (Hartmut Meyer) ohne jegliche Atmosphäre. In langen weißen Nachthemden plus Uniformjacken und Helmen der Roten Armee (wieso?) bewegt (rutscht, kriecht, läuft) die Zarentruppe. Ihr General Polkan tritt als Che-Guevara-Kopie auf (wozu?). Knallig bunt und poppig ausgestattet gibt sich die Welt der Königin Schemacha, die – selbst keineswegs im Orientlook, sondern girlylike aufgemacht – von kindhaften Showgirls umgeben ist (Kostüme: Mechthild Seipel). Effekt statt Märchenpoesie.
Das Ganze scheint in einem undefinierbaren Niemandsland angesiedelt, wo in ziellosem Trubel herumgelaufen wird. Komödiantischer Witz und Märchenzauber bleiben hoffnungslos darin stecken, auch Prolog und Epilog mit dem im Krankenstuhl (?) hereingeschobenen Astrologen retten nichts. Öde Langeweile rundherum, wenn da nicht die so ansprechend gebotene Musik gewesen wäre. Instrumental wie vokal, darunter Carsten Sabrowski als Dodon und Valentina Farcas herausragend.