Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 12. Juni 2006, Heft 12

Petitionen für eine Hexe

von Matthias Käther

In welch eine traurige Zeit bin ich hineingeboren! Das Jahr 1972, mein Geburtsjahr, deklarieren viele Filmhistoriker als Sterbejahr der wohl lustigsten und beliebtesten Form der klassischen Filmkomödie, der Screwball Comedy. Es war ein langes Sterben – schon in den sechziger Jahren siechte sie dahin, noch von wenigen Meistern wie Blake Edwards und Stanley Donen am Leben erhalten, bis sie sich mit zwei Meisterwerken 1972 verabschiedete, mit George Cukors Reisen mit meiner Tante und Peter Bogdanovichs Is was, Doc?.
1972 lief aber auch eine US-Serie endgültig aus, die vielleicht den Geist der Screwball-Comedy am besten und überzeugendsten konserviert hatte und die das letzte große Aufleuchten eines brillanten, temporeichen Stils symbolisierte, der sich in den Dreißigern so erfolgreich entwickelt hatte. Bewitched, deutsch etwas sperrig übersetzt mit Verliebt in eine Hexe, verschwand in der Versenkung. Am 25. März 1972 flimmerte die allerletzte Folge über die amerikanischen Bildschirme.
Als Bewitched im September 1964 an den Start ging, war Amerika noch recht prüde. Die Zensur für Film und Fernsehen bekam erst allmählich Risse, durch die charmante Frechheiten sickern konnten; nicht zuletzt deshalb wurde auch diese Serie später oft in Zusammenhang mit den konventionellen Familienkomödien à la Day & Hudson gebracht.
Der Schein trügt – die Subversivität von Bewitched kommt zwar gut verpackt daher, so gut verpackt, daß sie die Zensur passieren konnte, aber sie ist da, von Anfang an. Bewitched ist ein echtes Kind der Screwball, deren boshafte Faustregel lautete: Die intelligente Frau verstört durch ihr Anders-Sein die (männliche) Umgebung, die auftretenden Männer sind leicht trottelig und überfordert, und das Drumherum gebärdet sich exzentrisch.
Die Idee, eigentlich so alt wie die Commedia dell’arte, nämlich feststehende Charaktere immer wieder in neue Verwicklungen zu schicken, war für das Fernsehen damals neu und kühn. Mit Bewitched etablierte sich auch ein neues Medium, die Situation comedy, heute kurz Sitcom genannt. Also Samantha Stephens als strahlende Urmutter der schrecklich netten Familie und Seinfeld? Klingt nach Hexerei, stimmt aber.
Wenn Sam hext, dann will sie im wahrsten Sinne das, was die Franzosen so charmant mit »corriger la fortune« bezeichnet – und natürlich läßt sich das Glück nicht an der Nase und schon gar nicht mit der Nase herumführen, auch von einer Hexe nicht, und alles endet in einer Katastrophe – wenn – ja wenn nicht die Autoren genausogroße Hexenmeister wären wie die Protagonistin. Meist fällt ihnen ein wunderbar plausibles Happy-End ein.
Das Kino-Remake mit Nicole Kidman war für Sony ein guter Anlaß, die Serie auf DVD neu zu präsentieren. Die ursprünglich schwarzweiß gedrehten frühen Farcen sind hier sehr liebevoll und aufwendig mit Blick auf die späteren Folgen nachcoloriert worden, man hat wirklich eine köstliche Sechziger-Jahre-Farbsymphonie zusammengebraut. Die begonnene Edition, die als Gesamtausgabe gedacht ist und die historische Bedeutung der Serie ernstnimmt, präsentiert auch in der Reihenfolge der Erstausstrahlung die Folgen, die in Deutschland nie gezeigt wurden – in sehr gut arrangierten Untertiteln.
Und wer die Originalfassung kennengelernt hat, ist arg enttäuscht von der deutschen Synchronisation. Die deutschen Stimmen klingen nicht nur braver, disziplinierter und wohlerzogener, man hat den starken Verdacht, daß die deutschen Medien hier eins der ganz großen komödiantischen Geniestreiche des amerikanischen Fernsehens zu einer Art betulicher Kindersendung umfunktionieren wollten.
Und Bewitched ist mit seinen vielen politischen, sexuellen oder anarchischen Eskapaden im Original alles andere als kindertauglich! Fast jeder Gag der synchronisierten Episoden ist entschärft worden. Und es fehlen beinahe alle Anspielungen, für die man auch nur einen Hauch von Reflexionsvermögen und Intuition braucht, um sie genießen zu können.
Beispiel: Das Ehepaar Stephens kommt von einem Theaterbesuch zurück. »Schönes Stück« sagt er. Sie, leichthin: »Naja, mag sein, aber ich hab schon sooo viele Stücke gesehen …« Er schaudert, richtig, sie ist ja als Hexe weiß Gott wie lange schon auf Erden … was kann er ihr schon bieten … Sie lenkt schnell ein: »War nur ein Scherz …«
So im Original. Die deutsche Synchronisation macht daraus: »Ich hab schon größeres Theater gesehen.« Der Gag verpufft völlig.
Auch wenn man die visuellen Tricks oft leicht durchschaut (was niemanden wirklich stört), etwas Magisches haftet dieser Serie tatsächlich an; ich hab die Vier-DVD-Box nun einer Nachbarin gegeben, damit das Zeug aus dem Haus ist und sich mein Leben wieder normalisiert. Schluß mit den kräftezehrenden fünfstündigen Bewitched-Nächten! Tja, und nun erreiche ich meine Nachbarin nicht mehr, niemand geht da ans Telefon …
Manche mögen die Schultern zucken: »Bewitched? Satire für die ganze (amerikanische) Familie? Ich weiß nicht …« Fürwahr, es ist ein sonderbarer Spaß. Eine Szene gibt’s, fast am Schluß der ersten Staffel, da wurde mir die hybride Form dieser Serie besonders bewußt:
Samantha hat bei einem unbekannten Italiener gut zu Abend gegessen. Den muß man bekannt machen! Also hext sie eine ganzseitige Anzeige in die Zeitung: »Essen Sie bei Mario’s!« Stolz erzählt sie, die Hexerei hätte sie keinen Pfennig gekostet. Ihr Mann ist entsetzt: »Wie kannst du nur! Das ist kriminell! Du schadest den Vereinigten Staaten, einer Demokratie, deren ökonomisches System kapitalistisch ist!« – »Huh!« sagt sie erschrocken. »Das ist ein Argument … Hab ich vergessen!«
Vielleicht liegt der ambivalente Zauber dieser Serie ja auch darin, daß man die prosaische Realität beim Zuschauen vergißt, genau wie Samantha. Und doch ist sie als Zerrbild allgegenwärtig. Ein sanfter Irrsinn liegt über diesen Mini-Spektakeln: Es ist, als wären Alice, der Märzhase und der verrückte Hutmacher in ein amerikanisches Reihenhaus umgezogen, mit Einbauküche, Vorgarten und Fernsehapparat.

Bewitched. Season One. 36 Episoden auf 4 DVD. Englisch mit deutschen Untertiteln. 13 Episoden optional in deutscher Sprache, Sony