von Wolfgang Lieb
Die Geschäftsführung der Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main GmbH (Frankfurter Rundschau) hat Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Die Hauptgesellschafter M. DuMont Schauberg (51 Prozent-Anteil) und die SPD-Medienholding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (40 Prozent-Anteil) erklärten, eine sich nunmehr abzeichnende dauerhafte Finanzierung hoher Verluste sei nicht länger darstellbar.
Seit Jahren gab es in der FR Sparrunden. Im Jahr 2000 waren noch 1.650 Mitarbeiter beschäftigt, nach der „Rettung“ durch die SPD-Medienholding im Jahr 2004 waren es noch 1.110 und als der „Retter“ DuMont Schauberg 2006 als neuer Mehrheitsgesellschafter einstieg, blieben noch 730 Mitarbeiter. Derzeit sind es noch 487. Auch die Redaktion der FR erlitt einen personellen Kahlschlag.
Seit zwei Jahren kommen die meisten überregionalen Inhalte von einer gemeinsamen Redaktion mit der zur Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg gehörenden Berliner Zeitung, seit dem vergangenen Jahr wird der überregionale Teil in Berlin produziert. Die dort ansässige „DuMont Redaktionsgemeinschaft“ beliefert das Blatt – wie den Kölner Stadtanzeiger und die Mitteldeutsche Zeitung – mit politischen Berichten von bundespolitischer Bedeutung. Auch die verbliebenen Redaktionsmitarbeiter aus den Ressorts Wirtschaft, Feuilleton und Sport wurden mehr und mehr nach Berlin abgezogen oder schieden aus. In Frankfurt verblieben letztlich nur noch die Lokalredaktion, die Berichterstatter über die Frankfurter Eintracht und einzelne Autoren aus der Stammmannschaft. Der Rest wurde in einen nicht tarifgebundenen Pressedienst und in ein „FR Publishing“ ausgelagert. Über ein Jahr war die FR sogar ohne eigenen Chefredakteur. Man glaubte, dass mit weniger Menschen, die an der Erstellung einer Zeitung beteiligt sind, wieder schwarze Zahlen geschrieben werden könnten.
Wenn man aus diesem Niedergang einer Tageszeitung jedoch eine Lehre ziehen kann, dann diese: Mit personellen Kahlschlägen allein lässt sich ein Zeitungsverlag nicht retten und ohne eine eigenständige Redaktion lässt sich keine profilierte Tageszeitung halten. Die Erwartungen, dass die „Umstrukturierungen“ die Verluste des Druck- und Verlagshauses der FR verringern würden, erwiesen sich als Illusion. Die Verluste wurden nicht geringer und beliefen sich angeblich in den vergangenen Jahren auf jeweils um die 20 Millionen Euro. Der Zwitter zwischen Lokalzeitung mit überregional produziertem Mantel war nicht überlebensfähig.
Als Grund für die Zahlungsunfähigkeit werden die massiven Umsatzverluste im Anzeigen- und Druckgeschäft in der ersten Hälfte des laufenden Jahres genannt. Viel weniger als über die wirtschaftlichen Verluste im Werbegeschäft wird allerdings darüber gesprochen, dass über die gesamte Phase dieser Kahlschlagpolitik die Auflage der FR sich von 190.000 auf 118.000 nahezu halbierte und der Einzelverkauf drastisch einbrach. Nun ist es kein Geheimnis, dass Umsatzverluste im Anzeigengeschäft bei einer Zeitung unmittelbar mit deren Auflage zusammenhängen. Je kleiner die Auflage, desto geringer der Preis für eine Anzeige. Unbestreitbar haben alle gedruckten Medien durch die Wirtschaftskrise, aber auch durch die zunehmende Konkurrenz mit den elektronischen Medien und ein Stück weit auch durch die Internet-Angebote Umsatzverluste im Anzeigengeschäft hinnehmen müssen. Doch zumindest die auflagenstarken überregionalen Zeitungen (zu denen einst auch die FR gehörte) schreiben keineswegs schlechte Zahlen. Der Axel Springer Verlag vermeldet gerade dieser Tage Umsatz- und Gewinnsteigerungen; auch die mit Informationen zurückhaltende Südwestdeutsche Medien Holding, der Hauptanteilseigner der Süddeutschen Zeitung, schreibt schwarze Zahlen. Selbst der Mehrheitseigner der FR, die Mediengruppe M. DuMont Schauberg, konnte im letzten Jahr den Jahresumsatz auf 711 Millionen Euro steigern und erzielte 2010 einen Gewinn von über 20 Millionen Euro.
Die Umsatzverluste im Anzeigengeschäft bei den Printmedien sind nicht bestreitbar, aber das Aus für die FR ist der Beweis dafür, dass der Verlust der verkauften Auflage die entscheidende Ursache für den Niedergang einer Zeitung ist. Eine Zeitung, die im Wesentlichen nur noch aus einem geborgten „Mantel“ besteht, kann auf Dauer nicht mehr verhüllen, dass hinter dem Mantel kaum noch eigenständige Inhalte stecken.
Die Frankfurter Rundschau war seit 1964 mein nahezu täglicher Begleiter, bis heute bin ich Abonnent. Aber das bin ich seit geraumer Zeit nur noch aus geradezu biografischer Verbundenheit. Als gleichzeitiger Bezieher des Kölner Stadt-Anzeigers hatte mir die FR – seit M. DuMont Schauberg die Mehrheit übernommen hat – in der überregionalen Berichterstattung kaum noch etwas Zusätzliches zu bieten. Genauso wird es den Lesern der Berliner Zeitung gegangen sein.
Entscheidend ist aber, dass die FR neben den anderen überregionalen Zeitungen weitgehend ihre vernehmbar eigene Stimme verloren hat. Der Auslandsteil der Zeitung hat sein früheres Profil einer engagierten und kritischen Berichterstattung aus den Krisengebieten und aus den sich entwickelnden, armen Ländern abgeschliffen. Die FR war eine Plattform für wichtige gesellschaftliche Debatten, sie bot Foren für zentrale politische Themen. Heute ist alles auf Tabloid-Format heruntergebrochen (in England wird dieses Format zurecht den Boulevard-Zeitungen zugeordnet). Die FR war in studentischen und in Lehrerkreisen weit verbreitet, weil sie auf der wöchentlichen Seite „Aus Schule und Hochschule“ wie keine andere Zeitung Bildungsthemen behandelte. Die Debatten innerhalb der Gewerkschaften kamen immer weniger vor und und die Emanzipationsbewegung der Frauen verlor ein Sprachrohr.
Fundierte kritische Analysen waren seltener zu finden und in der Sozialpolitik machte die FR die Agenda-Politik bis auf rare kritische Einwände mit. Sie verstand sich schon lange nicht mehr als plurales wirtschaftspolitisches Gegengewicht zum „gelben“ Wirtschaftsteil der FAZ oder zur neoliberalen Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung. Ja, es gab noch vereinzelt die kritischen Stimmen, wie die von Robert von Heusinger, von Markus Sievers oder Stephan Hebel, aber nahezu alles andere konnte man ausführlicher in der FAZ oder SZ nachlesen. Die FR suchte keine ernsthafte Auseinandersetzung mehr mit dem Kampfblatt des chauvinistischen Konservativismus der Welt. Die ökologisch und grün Engagierten landeten bei der flapsigen taz. Bei der FR baute man auf ein Boulevard-Format und auf Apps, gerade so als könnte moderner Medien-Schnick-Schnack Inhalte ersetzen. Linksliberalen Lesern nahm man ihre publizistische Heimat.
Wenn man in der FAZ die hämischen Kommentare über die Insolvenz der Konkurrenzzeitung liest, erkennt man mit Schrecken, wie gering bei uns noch die Meinungsvielfalt in der öffentlichen Debatte geschätzt wird. Mit dem Niedergang der Frankfurter Rundschau, die am 1. August 1945 die zweite Lizenz einer deutschen Tageszeitung nach dem Krieg erhalten hat, hat der Meinungs-Mainstream in der Presselandschaft einen weiteren Sieg errungen. Der Niedergang der FR ist exemplarisch für den Niedergang des Journalismus insgesamt. Es wird – auch aufgrund von Arbeitsverdichtung – nur noch nachgeschrieben, was die anderen schreiben. Der Kampagnen-Journalismus greift um sich. Es wird immer weniger eigenständig recherchiert. Die Lobbyisten sogenannter „Think-Tanks“ und der Public Relations-Agenturen bestimmen zunehmend die Inhalte der Medien und das Aktuelle gewinnt Überhand über das Wichtige. Die Betrachtungsweisen werden damit zunehmend oberflächlicher. Der Einheitsbrei gibt schließlich den Lesern immer weniger Grund, sich überhaupt eine Zeitung zu kaufen.
Die Presse verliert ihre Wächterrolle und damit ihre gesellschaftliche und demokratische Bedeutung. Die SPD-Medienholding sieht diesem Verlust tatenlos zu. Wenn Verleger diesem Niedergang mit Sparrunden und personellem Kahlschlag begegnen wollen, dann sollte ihnen die tatsächlichen Hintergründe der Insolvenz der FR ein warnendes Beispiel sein.
Die Belegschaft der FR will alles dafür tun, dass die Geschichte dieser traditionsreichen Zeitung weitergeht. Ich werde mein Abonnement nicht kündigen, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch groß ist meine Hoffnung nicht.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors in gekürzter Form von den NachDenkSeiten übernommen (www.nachdenkseiten.de)
Schlagwörter: Frankfurter Rundschau, Journalismus, SPD, Wolfgang Lieb