Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 20. März 2006, Heft 6

Solidarität?

von Fritz Klein

Notwendiger denn je sei es, heißt es in einem Vorstandsbeschluß der Linkspartei.PDS, angesichts der völker- und menschenrechtswidrigen Blockadepolitik der USA die solidarische Unterstützung des kubanischen Volkes fortzusetzen. Wer wollte dem widersprechen?
Wir setzen gleichwohl ein entschiedenes Fragezeichen hinter die Solidaritätsbekundungen dieses Beschlusses, mit dem der Vorstand versuchte, die Wogen der leidenschaftlichen Auseinandersetzung zu glätten, die unter Mitgliedern und Sympathisanten der Linkspartei über die Zustimmung von drei Europaabgeordneten der Partei zu einer kubakritischen Resolution des Europaparlaments entbrannt war. Es ist ein untauglicher Versuch, weil er die harten Tatsachen, um die es geht, hinter einer Wolke ungebremster Solidaritätsbeteuerung verdeckt. Konkrete Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Kuba wurden in einer von vier Fraktionen des Europaparlaments eingebrachten Resolution verurteilt: die Inhaftierung Dutzender Angehöriger der demokratischen Opposition in menschenunwürdiger Haft, die Ausreiseverweigerung für kubanische Staatsbürger, die das Europaparlament zur Entgegennahme des Sacharow-Preises nach Straßburg eingeladen hatte, die Tatsache, daß die Zahl der wegen ihrer Gesinnung inhaftierten Personen im Jahre 2005 nicht ab-, sondern zugenommen hat.
Freilassung der aus Gesinnungsgründen Verhafteten und Beendigung der Repression gegen die friedliche Opposition wurden gefordert. Diesen Forderungen, die nicht etwa wie die USA-Regierung und kubanische Exilanten in Miami die Abschaffung des Revolutionsregimes verlangten, sondern der Abstellung von Zuständen und konkreten Maßnahmen galten, die abgestellt gehören, stimmten Gabriele Zimmer, André Brie und Helmut Markov zu.
Ausdrücklich benennt die Resolution auch die Opfer der kritisierten Repression: »Menschenrechtler …, von denen die meisten in das Varela-Projekt eingebunden sind«, eine Bürgerrechtsbewegung, die für die Demokratisierung des Regimes wirkt, in Erinnerung an den Priester und Philosophen Felix Varela, der im 19. Jahrhundert vom Exil aus gegen die spanische Kolonialherrschaft, die ausbeuterische Plantagenbourgeoisie, für die Sklavenbefreiung und ein unabhängiges Kuba kämpfte. Mit dieser Bewegung solidarisierten sich die drei Abgeordneten, eingedenk, wie man vermuten darf, der schlimmen Erfahrungen, die das SED-Regime in seinen letzten Jahren mit der Unterdrückung der bürgerrechtlichen Opposition gemacht hat, die ja zunächst, wie kürzlich von Christoph Geisel eindrucksvoll beschrieben, keineswegs den Sturz des Sozialismus, sondern seine Verbesserung durch demokratische Reformen auf ihre Fahnen geschrieben hatte.
Interessanterweise hält keiner der wütenden Schreihälse gegen die »Verräter« von Brüssel den Vorwurf von Menschenrechtsverletzungen auf Kuba auch nur der Nachfrage für wert. Ob es so etwas gab oder nicht, worum es konkret gegen wen ging, interessiert nicht. Fatal erinnert die Empörungswelle, die da Tag für Tag in Zuschriften an das Neue Deutschland aufbrandete, an Unsitten des politischen Umgangs in der DDR, die man, voreilig, wie sich zeigt, für überwunden glaubte.
Kritik an Schwächen, Mängeln oder Schlimmerem auf der eigenen Seite ist grundsätzlich unerlaubt, ihre Äußerung ein Zeichen ungenügenden Klassenbewußtseins oder gar der Verräterei. So dachte das ZK der SED, als es im Herbst 1988 den Vertrieb des Sputnik in der DDR untersagte, wo Kritisches zur Sowjetwirklichkeit zu lesen war. So dachte Hanna Wolf noch im Juni 1989 in ihrem unsäglichen ND-Artikel gegen eine kritische Betrachtung der Geschichte der Komintern, mit dem »Argument«, Kommunisten, weil im Besitz der Wahrheit, hätten immer recht. Haltlos ist auch der implizit oder explizit erhobene Vorwurf, die drei hätten sich mit ihrer Zustimmung zu einer gewiß nicht nur von Freunden Kubas initiierten Resolution faktisch zu Komplizen des USA-Imperialismus gemacht. Wer so argumentiert, setzt die schädliche, weil blindmachende Praxis alter Zeiten fort, Kritik von Antikommunisten am Kommunismus sei grundsätzlich zu ignorieren. Wie nötig wäre es gewesen, Arthur Koestler und André Gide mit ihrer Kritik am Stalinismus ernstzunehmen, statt sich bis 1956 zu gedulden.
Von all solchen Zusammenhängen spürt man in dem eingangs erwähnten Vorstandsbeschluß kaum einen Hauch. Gefragt wird nicht nach den konkreten Menschenrechtsverletzungen, deren Verurteilung die PDS-Abgeordneten zustimmten. Kühl heißt es nur, einigermaßen nebulös, ihre Zustimmung zu einer Resolution, die nicht der »differenzierten Betrachtungsweise im Diskurs der internationalen globalisierungskritischen Bewegungen« entspreche, entspreche nicht der Position der Linkspartei.PDS. Wahrheitswidrig behauptet Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke, der maßgeblich am Zustandekommen des Beschlusses mitgewirkt hatte, dieser thematisiere klar, daß die Linkspartei in der Menschenrechtsfrage eine Differenz zur kubanischen KP habe.
Tatsächlich kann aber von klarer Thematisierung einer solchen Differenz nicht gesprochen werden, ist doch lediglich in einem Nebensatz vage von der Möglichkeit die Rede, im solidarischen Meinungsstreit Kritik an Menschenrechtsverletzungen zu üben. Worum es da ginge und ob es überhaupt notwendig ist, bleibt offen. Bestenfalls halbherzig die Verteidigung der drei gegen die wüsten Angriffe, denen sie ausgesetzt waren, wobei konkret aber nur die, wenigen, extrem unsinnigen Beschuldigungen zurückgewiesen werden, sie hätten sich in die Nähe der Kriegskreditbewilliger von 1914 oder die Zustimmung zu Hitlers Ermächtigungsgesetz 1933 begeben. Alles andere bleibt ungerügt. Keine Spur auch nur einer Ahnung, daß es Gründe zur Besorgnis über die inneren Zustände im Kuba unserer Tage gibt. Solidarische Unterstützung des kubanischen Volkes, die der Beschluß proklamiert, wird nicht geleistet durch blinde Solidarität. Sie wird geleistet durch Freunde dieses Volkes, die es vor Irrwegen warnen.

Außerordentlicher Parteitag der SED-PDS, Partei des Demokratischen Sozialismus. 8./9. und 16./17. Dezember 1989, Referate von Hans Modrow, Gregor Gysi, Michael Schumann, Dieter Klein und Wolfgang Pohl, 160 Seiten, Paperback, Dietz Verlag Berlin, in den Angeboten des Zentralverzeichnisses Antiquarischer Bücher (www.ZVAB.com) ca. 10 Euro
Außerordentlicher Parteitag der SED/PDS, mit CD-Audio, von Lothar Hornbogen, Detlef Nakath, Gerd-Rüdiger Stephan, 463 Seiten, Karl Dietz Verlag Berlin, 19,90 Euro
Christof Geisel: Auf der Suche nach einem dritten Weg. Das politische Selbstverständnis der DDR-Opposition in den achtziger Jahren, Christoph Links Verlag Berlin, 330 Seiten, 24,90 Euro