von Uwe Stelbrink
Als aus der SED die SED/PDS und später die PDS wurde, ging ein Streit um: Kann sich diese Partei als offenes politisches Projekt verstehen, als eine Einheit aus Partei und Bewegung? Der Streit war handfest und fand seinen organisatorischen Ausdruck in Strukturen, die unterschiedlichsten Basisströmungen Mitsprache auf allen Ebenen ermöglichten.
Auf dem Weg zur »normalen Partei« ging der Einfluß dieser Strömungen immer weiter zurück, heute mag in der Linkspartei niemand mehr über »Einheit von Partei und Bewegung« reden, das ist historisch erledigt. Genau wie die Vorstellung eines offenen politischen Projekts.
Die Wandlungen kamen nicht von ungefähr über eine darob selbst erstaunte Partei. Das Zurückdrängen des Einflusses basisnaher Strömungen fand sich zeitlich in gar nicht zufälliger Kongruenz zur Übernahme von Regierungsverantwortung in ostdeutschen Bundesländern. Der dafür abverlangte Pragmatismus der Sachzwanglogik brauchte klare politische Entscheidungen, die nicht durch Störfeuer aufmüpfiger Parteimitglieder, gar noch gebündelt in organisatorischen Strukturen behindert werden sollten, die von der Partei auch noch zu finanzieren waren.
Mit dem Zurückdrängen solcher Strukturen wurde gleich ein damit verbundener inhaltlicher Streit entsorgt: Soll eine sich sozialistisch definierende Partei im bürgerlichen Staate Regierungsverantwortung übernehmen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Und wie lange und bis zu welchen Zumutungen muß sie dabei bleiben. Die PDS hat diesen Streit allerdings nie ausgetragen, sondern ihn sozusagen praktisch erledigt, als sie den Koalitionen mit der SPD in Mecklenburg/Vorpommern und Berlin mehrheitlich grünes Licht und ihren Ministern und Senatoren ihren Segen gab. Die Politik insbesondere der rosa-roten Allianz in Berlin bringt diese grundsätzliche Fragestellung zwar immer wieder auf diese oder jene Tagesordnung; aber sie wird in schöner Regelmäßigkeit in eine rein rhetorische umgemünzt: »Wollt Ihr etwa wirklich, daß wir die Regierung verlassen. Soll dann etwa die CDU oder die FDP …?« Solch Schrekkensszenario bedarf keiner, schon gar keiner inhaltlichen Begründung. Oder sie wird als unnötige Kritik abgebürstet: Wir haben Erfolge, bohrende Fragen sind nicht nötig, die Fehlstellen sind selbstverständlich Sachzwängen geschuldet, und außerdem sind wir nicht die stärkste Partei.
Mit den ob solcher Schrecknisse und dialektischer Nachweisführung disziplinierten Genossen lassen sich die notwendigen Mehrheiten für ein Weiterregieren immer wieder zuverlässig herstellen, und die Mitregiersozialisten können derartige Fragen immer wieder in dem Schubkästlein für kleine Lästigkeiten aus der radikalen Ecke weglegen.
Nun haben aber die Zeitläufte immer wieder Sinn für Ironie. Und so gefährdet ausgerechnet der kleine Berliner WASG-Landesverband mit seinem Votum gegen eine organisatorische Verschmelzung und für ein konkurrierendes Antreten bei den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus sowohl den Bestand der gemeinsamen Bundestagsfraktion als auch den angestrebten Vereinigungsprozeß auf Bundesebene.
Sicherlich liegen die Gründe für die Einheits-Aversion der Berliner WASGler nicht zuerst in der wiederholt öffentlich vorgetragenen Arroganz und Geringschätzung, die sie vom einstigen Berliner PDS-Landesvorsitzenden Liebig erfahren durften und die nur mit einer völligen Fehleinschätzung der Lage zu erklären ist, da es bei den letzten Bundestagswahlen eben nicht nur um die Direktmandate in Berlin, sondern um das bundesweite Abschneiden des Parteienbündnisses ging. Nein, während im Westen sich in der WASG vor allem Menschen zusammenfanden, die wegen der Regierungspolitik der SPD dieselbe verlassen hatten, sind es im Osten vielfach – so auch in Berlin – ehemalige PDSler, die dieser Partei wegen ihrer Regierungspolitik namentlich im Roten Rathaus den Rücken kehrten. Daß die sich nicht einfach wiedervereinigen lassen wollen, ohne daß sich etwas an der Politik der Berliner PDS ändert, ist das eine; daß ausgerechnet mit ihnen die vormals entsorgten Fragen zum Sinn und Zweck der Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin auf deren Tagesordnungen zurückkehren, hat – bei aller Dramatik – etwas Erheiterndes. Mit einem »Weiter so!« oder einem »Mir-san-mir«-Bewußtsein südlicher Provenienz dürften Stefan Liebig & Gen. kaum auf Dauer an diesen Fragen vorbeikommen.
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