von Wolfram Adolphi
Hätte der Meinungshauptstrom in Deutschland ein wirkliches Interesse an der Vielfalt des antifaschistischen Widerstandes und zugleich daran, wie kritisch und selbstkritisch Kommunistinnen und Kommunisten mit ihrer Geschichte – und also auch der des kommunistischen Antifaschismus – umgehen, wäre die Historikerin Ulla Plener in großen Verlagen und auf Bestsellerlisten zu Hause, und ihre Stimme wäre nicht nur auf kleinen Fachkonferenzen zu hören, sondern auch in Rundfunk und Fernsehen. So aber leistet sie ihre überaus bemerkenswerte Arbeit fast im Verborgenen, ohne Honorar von irgendwem, und publiziert in kleinen Verlagen, in denen das Wort Gewinnzone ein Fremdwort ist.
Dabei ist das Besondere an Ulla Pleners Arbeit, wie sie die Analyse der allgemeinen Geschichte der Arbeiterbewegung mit der Darstellung von Einzelschicksalen verbindet. Mit ihren Arbeiten zum Weg und Werden der deutschen Sozialdemokratie oder zum Verhältnis der Anschauungen und politischen Praxis von Lenin und Rosa Luxemburg hat sie Wichtiges zum Allgemeinen beigetragen, und in ihren Biographien etwa des Anarchisten Max Hoelz, des Gewerkschafters Theodor Leipart oder des Kommunisten, Arztes und Spanienkämpfers Mirko Beer wie auch in ihrem Buch »Leben in Hoffnung und Pein. Frauenschicksale unter Stalin« bekommt das Geworfensein der Menschen in die dramatischen Klassenauseinandersetzungen im Kapitalismus des 20. Jahrhunderts und die verheerenden Praktiken des Stalinismus ebenso sein je unverwechselbares Gesicht wie das Ringen der Geworfenen, in diesen Verhältnissen würdevoll und nach Veränderung strebend zu handeln.
Nun hat Ulla Plener eine weitere Biographie vorgelegt, und die verdient besondere Beachtung. Es ist, wie es im Titel heißt, die »Lebensgeschichte einer Idealistin«, und diese Idealistin ist Ulla Pleners Mutter, Marie-Luise Plener-Huber. Ulla Plener hat lange gezögert, ein so persönliches Buch zu machen. Im Jahre 2006, als sie in ihrem Buch »Frauen aus Deutschland in der französischen Résistance« einunddreißig Kurzbiographien vorstellte und durch Annotationen insgesamt 132 Namen vor dem Vergessenwerden bewahrte, hatte sie ihrer Mutter bereits eine dieser Kurzbiographien gewidmet, aber noch Zweifel daran gehabt, ob das denn rechtens sei bei all dem Familiären. Nun jedoch hat sie – die 100. Wiederkehr des Geburtstages ihrer Mutter im November 2009 zum Anlaß nehmend – diese Zweifel überwunden, und beim Lesen erweist sich schnell, wie gut das ist.
Denn in der Tat: Marie-Luise Plener-Huber (1909-1996) gehört, wie es im Klappentext treffend formuliert ist, zu jenem »Exil der frechen Frauen«, dem Robert Cohen vor zwei Jahren mit seinem gleichnamigen Roman ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Wie die Protagonistinnen des Cohen-Buches Olga Benario (1908-1942), Maria Osten (1908-1942) und Ruth Rewald (1906-1942) auch hat sie von Frühestem an im Kampf gegen den Faschismus unter großen persönlichen Opfern als Frau und Mutter ihr Leben im Ganzen in die Waagschale geworden. Anders als diese drei jedoch hat sie Faschismus und stalinistische Verfolgung überlebt, und das gibt ihrer Lebensgeschichte eine weitere Dimension. Die hätte, sollte man meinen, da der Faschismus geschlagen und die sozialistische Gesellschaft in der DDR auf die Tagesordnung gesetzt war, die einer glücklich-unbeschwerten Siegerin sein müssen. Aber so war es nicht. Ihr ungewöhnliches Leben blieb ungewöhnlich. Glück und Unglück, Anerkennung und Zurücksetzung blieben seine Pole. Die Männer an der Spitze der SED-Hierarchie vergaßen ihr nicht, wie aufsässig sie im Moskauer Exil gewesen war, und daß sie von diesem Exil aus in die französische antifaschistische Résistance geschickt worden war, gereichte ihr bei diesen Männern nicht zur Ehre, sondern wurde zum Kainsmal namens »Unzuverlässigkeit«.
Aber wie resolut und selbstbewusst und unangepasst gestaltete Marie-Luise Plener-Huber dennoch ihr Leben. Gelernt hatte sie das als junge Kommunistin in der Erwerbslosen- und Betriebsarbeit in Essen, nicht aufgegeben hatte sie es in den Zwängen des Komintern-Apparates in Moskau 1934-1939, zur überlebensnotwendigen Tugend hatte sie es gemacht in der Résistance. Im in Besatzungszonen aufgespaltenen Nachkriegsdeutschland wurde sie bei der Polizei in Essen mit der Begründung »Kommunistin« entlassen und bei der Deutschen Verwaltung des Innern für die Sowjetische Besatzungszone wegen »Westemigration«. Dann wurde sie in Berlin (DDR) Verlagsredakteurin und Pressesprecherin, nahm 1952 mit 43 Jahren ein Fernstudium auf, heiratete später, sich um keine Konventionen scherend, einen viel jüngeren Mann und ging mit diesem für drei Jahre als Korrespondentin nach Indonesien. 1965 – mit 56 Jahren – wurde sie zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften promoviert. Bis ins hohe Alter hinein blieb sie, keiner Grundüberzeugung – die Lust am kritischen Widerspruch inbegriffen – abschwörend, politisch aktiv.
Ulla Plener, die 1933 geborene Tochter, erzählt dieses Leben, und sie dokumentiert es, wie es ihre Art ist, mit einer erstaunlichen Fülle an Briefen, Akten und Fotos. Ganz wesentlich zum Reichtum des Buches tragen die Reportagen und Texte Marie-Luise Plener-Hubers aus dem Indonesien der 1950er Jahre und – in den 1970er Jahren verfaßt – über Menschen im antifaschistischen Widerstand in Berlin bei. Alles in allem knapp 500 Seiten pralle, zutiefst berührende Geschichte. Aus der, wer will, ein weiteres Mal erfahren kann, wie stark die Antriebe für Menschen sein können, die Welt kapitalistischer Ausbeutung nicht für das letzte Wort der Geschichte zu halten.
Ulla Plener: »Ich bereue mein Leben nicht.« Die Lebensgeschichte einer Idealistin – Marie-Luise Plener-Huber, NORA Verlag Berlin 2010, 496 Seiten, 29,90 Euro
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