Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 24. Dezember 2007, Heft 26

Horrorskop 2008

von Heinz W. Konrad

Januar: Nach seinem erfolgreichen Auslandsgastspiel in Dänemark entschließt sich das ostdeutsche Seniorentheater »HVA – Die Unheimlichen« zwecks Erweiterung seiner Tourneepläne, an die Börse zu gehen. In Ostdeutschland sind die Aktien sowie die Porträts der Protagonisten umgehend massenhaft überzeichnet. Die jüngste Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten erweist sich nach kürzester Zeit als unzureichend und wird durch Essengutscheine für die »Grüne Tafel« ergänzt. Wladimir Putin beugt sich dem einhelligen Volkswillen und läßt sich in Zarskoje selo zu Nikolaus III. krönen.

Februar: Gegen die Verfassungsklage von BDA-Chef Dieter Hundt in Karlsruhe wegen des unbegründeten Anspruchs deutscher Arbeitnehmer auf Entlohnung behalten sich die deutschen Gewerkschaften punktuelle Bedenken vor. Peter Struck verlegt seinen Wohnsitz nach Kabul und widmet sich am Hindukusch dem Vertrieb von deutschen Pfeifen sowie dazugehörigem Tabak aus dem Oderbruch. Edmund Stoiber siedelt mit einem Drittel des Personals seiner Entbürokratisierungsbehörde in den brachliegenden Regierungspalast Ceausescus in Bukarest um. Für Aufsehen sorgt das Auffinden einer Akte Erich Mielkes in der Birthler-Behörde, die das verstorbene SED-Politbüromitglied als DDR-Geheimdienstchef entlarvt.

März: Das ARD-Magazin Monitor macht die sensationelle Enthüllung, daß es die Klassikfiguren des deutschen Boulevards Liz Hurley, Britney Spears, Paris Hilton, Rolf Seelmann-Eggebert, Udo Walz, Nina Ruge und Florian Silbereisen wirklich gibt. Inwieweit dies auch auf Eva Herman zutrifft, bleibt weiterhin ungeklärt. Die katholische Kirche beschließt im Zusammenhang mit der Debatte um die frühkindliche Erziehung die sofortige Entfernung der Krippen aus jeglichen Nachbildungen des Stalls von Bethlehem. In den traditionellen Krippenspielen zu Weihnachten wird der heilige Ort künftig als »Aufbewahrungsstätte für Heilande« definiert. Arnulf Baring teilt mit, daß er wieder etwas weiß.

April: Bischof Walter Mixa kontert Arnulf Barings kognitives Coming out mit der aggressiven Mitteilung, daß er auch etwas wisse, Claudia Roth hingegen eine ahnungslose Flitzpiepe sei. Wolf Biermann erzwingt eine Neufassung deutscher Zeitgeschichte. In seinem Bestseller Wild Angel, Meine Nächte mit Margot (Bastei-Lübbe) charakterisiert er die Schäferstündchen mit der First Lady der DDR als ausschließlichen Gedankenaustausch über die weitere Vervollkommnung des Sozialismus in den Farben der DDR. Die angebliche Verruchtheit dieser Tête-à-têtes habe den gemeinsamen Genuß einer Flasche Liebfrauenmilch nie überschritten.

Mai: Der von Mahmud Ahmadinedschad als vertrauensbildende Maßnahme an den deutschen Konfliktmoderator Hartmut Mehdorn übergebene Bauplan iranischer Atomwaffen erweist sich nach Prüfung durch den TÜV als geschickte Kombination eines Strickmusterbogens von Burda mit dem Abwassernetzplan der ostsächsischen Gemeinde Ottendorf-Okrilla. Durch die gesetzliche Befristung von Parlamentsreden und Talkshow-Beiträgen auf 1,5 Minuten übernimmt Deutschland dank der dramatischen Reduzierung von Schadstoffen und heißer Luft beim Kampf gegen die Klimaerwärmung die internationale Spitze.

Juni: Zu einem triumphalen Erfolg gestaltet sich auf der Rügener Seebühne Raalswiek die Premiere des Dieter-Bohlen-Musicals »Heiligendamm«. Die von Michael Thalheimer besorgte Inszenierung, in der die G8-Protagonisten und deren Widerparts nackt agieren, wird von der Kritik als maßstabsetzend bejubelt. Lediglich die taz bemäkelt die szenische Kopulation von Angela Merkel (Nina Hagen) mit dem Präsidenten des Schwellenlandes China, Hu Jintao (Dieter Pfaff), geschmäcklerisch als erotikresistent.

Juli: Der Deutschen Bank gelingt der vielbeachtete Coup, die kollektiv an die Börse gegangene Volksrepublik China aufzukaufen, was den Dalai Lama zum Übertritt in die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage veranlaßt und eine radikale Neuordnung der tibetischen Reliquien- und Devotionalienproduktion einleitet. Den künstlerischen Zuschlag für die Gestaltung des Denkmals für deutsche Einheit und Freiheit nach einer Idee von Loriot erhält überraschenderweise ein Kollektiv verdienter Skulpteure aus Pjöngjang.

August: Guido Westerwelle unterläuft während einer Rede in der Plenardebatte des Bundestages eine polemische Entgleisung, als er Michael Glos vom Rednerpult aus auffordert, umgehend das Popeln einzustellen. Die CDU/CSU-Fraktion solidarisiert sich umgehend mit Glos durch geschlossenes Mitpopeln. Die daraufhin ausbrechenden Tumulte können erst durch den Einsatz Johannes B. Kerners und dessen Androhungen von Saalverweisen beendet werden. Guido Knopps soeben ausgestrahlte Dokumentation Hitlers Schließmuskel eröffnen der Geschichtsschreibung neue anthropologische Erklärungsansätze für die faschistische Horrordiktatur.

September: Norbert Blüm und Peter Sodann werden bei einer unangemeldeten Kontrolle des Blutarmutsdopings überführt. Wegen der im Übermaß in den Kreislauf eingeschwemmten Geriatrika wird gegen die beiden Laiendarsteller unter Berücksichtigung ihres fortgeschrittenen Alters aber lediglich ein einwöchiges Auftrittsverbot verhängt. Der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird der Status der Gemeinnützigkeit wegen mangelnder Gemeinheit aberkannt; die linke Denkfabrik darf künftig lediglich für sich in Anspruch nehmen, nützig zu sein. Das aus Kostengründen langzeitig geschlossene Nationaltheater Weimar wird nach einem behutsamen Umbau als erstes Pfennigfuchser-Kaufhaus Deutschlands feierlich wiedereröffnet.

Oktober: Wolfgang Schäuble wird für seine Verdienste um die Terrorverhinderung auf deutschem Boden als erstem Politiker der Orden Talibanner der Arbeit verliehen. Die Lokale der Hamburger Reeperbahn erlassen gegen Altbundeskanzler Helmut Schmidt wegen dessen demonstrativer Verstöße gegen das neue Nichtrauchergesetz Hausverbot. Hugo Chavez begeistert mit seinem lateinamerikanischen Veitstanzensemble das Publikum der ARD-Musikantenscheune und sichert durch die Spende des dabei eingenommenen Honorars die Weiterexistenz der jungen Welt. Gerhard Schröder erhält an der renommierten Universität von Dnepopetrowsk-Südost die Doktorwürde. Seine Gaspromotion zum Thema »Von den Russen lernen, heißt siegen lernen« wird mit Hummer cum laude bewertet.

November: Immer häufiger kommt es im Bundestag zu spektakulären Tabubrüchen: Während Ministerin Ursula von der Leyen in einer Burka ans Rednerpult tritt, opponiert der Teilparteichef der LINKEN Lothar Bisky im orangenen Gewand eines buddhistischen Bettelmönchs. Ronald Pofalla reitet zwecks Rettung christlich-abendländischer Grundwerte rittlings auf einem Esel in den Plenarsaal, was von Teilen des Hohen Hauses als Tautologie mißverstanden wird. Die von Umweltminister Gabriel vorgenommene Kopplung des Bierpreises an den des Super-plus-Benzins führt in Leipzig und weiteren Metropolen zu Unruhen an beiderlei Zapfsäulen.

Dezember: Im Bundestag hat die 52. Woche der Nonstop-Verlesung von ausgewählten Nebentätigkeiten der Abgeordneten begonnen. Experten rechnen noch vor Ende der Legislaturperiode mit dem Abschluß dieser spektakulären Transparenzkampagne. Angela Merkels Verpflichtungserklärung als IM »Rumbalotte«* beim MfS wird vom Blättchen veröffentlicht und veranlaßt sie umgehend zur überraschenden Erklärung, auch damals schon niemandem geschadet zu haben.

*Ruhmreiche Baltische Rotbannerflotte