von Jörn Schütrumpf
Vor zwei Jahren diskutierten wir an dieser Stelle, ob eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD zwangsläufig und gar mit verdoppelter Anstrengung den neoliberalen Kurs der Schröder-Fischer-Regierung fortsetzen werde, und verneinten dies. Statt dessen schien uns ein Linksruck wie in der Koalition von 1966 nicht ausgeschlossen (Das Blättchen, 22/2005).
Trotz des doppelten Mehrwertsteuerwahlbetrugs (Null + Zwei = Drei) am Beginn dieser Regierung, der Rente mit 67 und der forcierten Abwälzung der Gesundheitskosten auf die Versicherten ist es Angela Merkel tatsächlich verwehrt geblieben, sich zu einer auf protestantisch zurechtgefönten Maggie Thatcher emporzuschwingen. Von ihrem gesellschaftsfeindlichen Wahlprogramm, mit dem sie den Emporkömmling Schröder – ganz zu dessen Entzücken – wie einen Linken hatte aussehen lassen, ist ihr in der Rhetorik fast nichts und in der Politik von Monat zu Monat weniger geblieben. Dieser Frau droht, als »Nicht-Reaktionärin wider Willen« in die Geschichte einzugehen. Der einzige, der – wenn auch nur mit mäßigem Erfolg – wirklich Politik rechts der Schröder-Fischer-Regierung treibt, ist Wolfgang Schäuble, er wirkt dabei wie ein in seiner Trottligkeit extrapolierter Schily; Männer, aus denen die Säfte weichen, neigen, egal welcher Partei sie angehören, halt zu Allmachtsphantasien.
Ansonsten agiert die Koalition deutlich links von Schröder und Fischer. Deren beider fortgesetzes regierungsamtliches Wirken hätte nicht nur im Osten, sondern auch im Westen wie Staatsdoping auf den neuen deutschen Faschismus gewirkt. Die Ehe zwischen Schwarz und Gelb – zwischen Herrn Merkel und Frau Westerwelle als mehrfach quotierten gesamtdeutschen Dominas – hätte gar zu einem Motorsägenmassaker an den von Schröder und Fischer übriggelassenen sozialstaatlichen Knochen und damit auf Landesebene hin zu einer ersten Regierungsbeteiligung von Faschisten geführt. (Schill & Co hatten sich ja zum Glück als Salon-Faschos erwiesen, die nur eine Saison lang spielen.) So ist uns das alles noch einmal erspart geblieben – so sehr, daß einige selbst den Gedanken an das bisher ausgebliebene Ungemach für Unsinn halten; ich hoffe, sie können diesen – ihren – Gedanken noch lange denken.
Für die Jamaika-Ampel war es im Jahre 2005 noch zu früh. Der Neukonvertit Oswald Metzger wird nun für diese schwarz-grün-gelbe Koalition künftig aber die Brücken bauen. Für eine Führerschaft im Bundeswirtschaftsministerium begeht dieser Mann fast jede Tat.
Bis es soweit ist, sind einstweilen auch die Grünen wieder nach links gerückt, wenngleich sie auf dem eben stattgehabten Parteitag die Chance vertaten, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen die links-keynesianische LINKE unter Druck zu setzen. Statt dessen bellen sie sie weiter von rechts an. Die LINKE kann sich also auch künftig auf ihre Gegner verlassen. Glücklich kann sich nennen, wer solche Konkurrenz hat.
Bei CDU und SPD geht es unterdessen zu wie in gutbürgerlichen Ehen: Sie möchte endlich mal richtig fremdgehen, findet aber immer nur seines-, also eigentlich ihresgleichen, während er durch alle Betten springt – von der FDP bis zur LINKEN. Um ernstgenommen zu werden, machen sie, wenn sie nicht gerade nur noch Politik simulieren, zumeist das Gegenteil dessen, was sie tun möchten. Statt Hartz IV für alle die, die sich – zumindest scheinbar – nicht wehren, können diese Regierenden nicht mehr anderes, als beim Postgewerbe den Mindestlohn einführen – selbst bei der SPD galt vor einigen Monaten die Idee einer Lohnuntergrenze noch als das Hirngespinst eines St. Luzifers Lafontaine. Außerdem mußten beide Heldenparteien unterdessen einer Verschiebung der Zwangsverrentung auf das 63. Lebensjahr zustimmen. 2008 ist eben auch Landtagswahljahr.
Damit aber der Farce nicht genug. Die gelben »Gewerkschaften« der Bahn hatten sich ein besonderes Leid antun lassen müssen: Sie durften sich nicht mehr länger gegen eine zehnprozentige Lohnerhöhung wehren, obwohl sie doch erst eben bei 4,5 Prozent unterschrieben hatten.
Wo man auch hinschaut: Neoliberalismus mit angezogener Handbremse. Angeblich soll man beim Bund der Deutschen Industrie und beim Bund der Arbeitgeber seit 1. Advent Kerzen in die Fenster stellen, um dem Plebejer Schröder den Weg zurück in die »Waschmaschine« heimzuleuchten. Denn der hatte wenigstens noch Ehre im Leib – wenn auch nur die eines Gernegroß. Aber eine andere kennt man ohnehin nicht in diesen (notfalls um sich) schlagenden Verbindungen.
Mit dem Befund, daß Gesellschaftszerstörenderes beabsichtigt war, als sich durchsetzen ließ – erinnert sich noch jemand an Paul Kirchhoff? –, soll nichts verniedlicht werden: Elf Millionen Menschen am Rande des Existenzminimums zeugen von einer staatlich gewollten und gesellschaftlich geduldeten Asozialität. Denn an der Richtung – Sozialabbau, Lohndumping, Zerstörung der innergesellschaftlichen Solidarität – hat sich freilich nichts geändert. Doch es geht viel langsamer, und an immer mehr Stellen geht es auch gar nicht mehr.
Das hält sich natürlich die Opposition zugute, allen voran die LINKE, und ganz falsch ist das auch nicht. Denn die alte Wahrheit der Rosa Luxemburg, daß Sozialisten in der Regierung bestenfalls Wundpflästerchen verteilen können – was, denke ich, manchmal sinnvoll sein kann –, aus einer intelligent geführten Opposition heraus aber die Regierenden zu Zugeständnissen zwingen können, die die Sozialisten als Koalitionspartner schon des Koalitionsfriedens willen nie erreichen würden, bewahrheitet sich auch hier wieder. Das ist alles letztlich nicht überraschend.
Überrascht hat eigentlich nur die größte deutsche Partei, die Partei der Nichtwähler. Es gehörte schon fast zum Dogma dieses Blattes, daß Wahlverweigerer den etablierten Parteien von NPD über CDUCSUFDPSPDGRÜNE bis hin zur LINKEN nur einen Gefallen täten, wenn sie bei niemandem von ihnen ankreuzten. Den Parteien rechts und links der Mitte nützt zumeist eine niedrige Wahlbeteiligung, weil dann beinahe schon die Stimmen ihrer Stammwähler für das Überspringen der Fünfprozenthürde ausreichen. Und den anderen war es bisher egal: Gewählt ist gewählt, lautete ihre Devise.
Hier nun scheint sich wirklich etwas zu verändern. Obwohl der Zuspruch zur LINKEN in der jüngster Zeit eher wieder zurückzugehen scheint, kann die SPD nichts an Boden gutmachen. Sie verliert zwar nicht weiter an die LINKE, scheitert aber an den Nichtwählern. Das erklärt die Panikverkäufe der SPD aus ihrer Mottenkiste, die sie in den vergangenen Jahren mit neoliberalen Tätlichkeiten gegen die Gesellschaft prall gefüllt hatte. Die SPD-Führung hat nun in den Nichtwählern die Kampfreserve der Partei erkannt. Werden die zur neuen Außerparlamentarischen Opposition? Und wenn ja, was bedeutet das?
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