von Frank Ufen
Ein Mädchen, das in den neunziger Jahren in Kalifornien geboren wurde, heißt Imani, Ebony, Shanice, Aaliyah oder Precious. Was sagen diese Namen aus? Jede Menge – behauptet Steven Levitt, Ökonom von der Universität Chicago und einer der originellsten Sozialwissenschaftler der Gegenwart. Erstens habe ein kalifornisches Mädchen, das einen dieser fünf Vornamen trägt, höchstwahrscheinlich eine schwarze Mutter – denn weißen Eltern würde es nicht im Traum einfallen, ihre Töchter so zu nennen. Zweitens könne man darauf wetten, daß diese schwarze Mutter unverheiratet, als Teenager schwanger geworden und in einem Ghetto aufgewachsen sei, daß sie keine höhere Schule besucht habe und ihre Einkommensverhältnisse miserabel seien und bleiben würden. Und drittens dürfte diese schwarze Mutter ihrerseits einen schwarzen Vornamen haben. Nach Levitt signalisieren schwarze Unterschicht-Eltern mit ihrer Entscheidung für schwarz klingende Namen, daß sie sich mit der Ghettogemeinschaft solidarisch fühlen und daß sie nicht daran glauben, daß ihrem Nachwuchs der gesellschaftliche Aufstieg gelingen könnte. Dementsprechend vergäben weiße Eltern Namen, die nicht nur typisch weiß sind, sondern in denen noch dazu ihr sozioökonomischer Status und ihr Bildungsniveau zum Ausdruck kommen. Hierbei spielten die aufstiegsorientierten Eltern eine Schlüsselrolle. Sie übernähmen nämlich ständig die Namen, die bei den Oberschichten gerade in Mode sind. Dadurch werden diese Namen zur Massenware, und schließlich stoßen die Oberschichten sie ab und lassen sich neue einfallen.
Im Jahre 1989 begann der Soziologie-Doktorand Sudhur Venkatesh damit, die Lebensbedingungen der Schwarzen in den Slums Chicagos zu erforschen. Dabei geriet er in die Hände einer Bande junger Crackdealer. Venkatesh hatte jedoch Glück. Er konnte das Vertrauen der Dealer gewinnen und sie sechs Jahre lang aus nächster Nähe beobachten. Am Ende wurde ihm sogar ein Stapel mit Notizbüchern überlassen, in denen sämtliche Einnahmen und Ausgaben der Bande aufgeführt waren. Als sich Venkatesh und Levitt viel später mit diesen Aufzeichnungen befaßten, machten sie eine verblüffende Entdeckung: Die meisten Dealer lebten noch bei ihren Eltern. Warum? Weil sie das Pech hatten, einer straff hierarchischen Organisation anzugehören, in der sie nur die Position der »Fußsoldaten« einnahmen. Während ihnen dieser niedrige Rang einen Hungerlohn von 3,30 Dollar die Stunde einbrachte, verdienten die »Offiziere« immerhin 700 Dollar im Monat. Hingegen strich der Boss – übrigens ein Marketingfachmann, der Betriebswirtschaft studiert hatte – 8 500 Dollar im Monat ein. Der Boss hatte allerdings wiederum Bosse über sich, denen er zwanzig Prozent seiner Umsätze für die Lizenz abtreten mußte, innerhalb eines bestimmten Gebiets mit Crack handeln zu dürfen. Levitts Fazit: Drogenhändlernetzwerke funktionieren im wesentlichen wie kapitalistische Konzerne – wobei die Ähnlichkeit mit McDonald’s am größten sei.
In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren kam es in den Vereinigten Staaten zu einem explosionsartigen Anstieg der Kriminalitätsrate. Doch Anfang der neunziger Jahre ging sie plötzlich zurück.
Die Experten warteten mit einer Reihe von Hypothesen auf. Mit einigen davon – Verschärfung der Waffengesetze, häufigere Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe, Wirtschaftsboom und Rückgang der Arbeitslosigkeit, Überalterung der Bevölkerung – macht Steven Levitt kurzen Prozeß.
Daneben existierte auch noch die Auffassung, daß die Einführung neuer Polizeistrategien umwälzende Folgen gehabt hätte. So soll der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, geleitet von der Theorie des zerbrochenen Fensters, die Schwerkriminalität eingedämmt haben, indem er Bagatelldelikte gnadenlos verfolgen ließ. Dabei wird nur übersehen, daß die Kriminalität schon Anfang der neunziger Jahre sank – lange vor dem Amtsantritt Giulianis, und nicht nur in New York, sondern überall in den Vereinigten Staaten.
Levitt ist auf einen anderen Umstand gestoßen: 1973 wurde in sämtlichen amerikanischen Bundesstaaten die Abtreibung legalisiert. In den folgenden Jahren kamen Millionen unerwünschte Kinder weniger zur Welt als früher. Das habe ein Sinken der Kriminalitätsrate nach sich gezogen, denn unerwünschte Kinder gerieten leicht auf die schiefe Bahn.
Levitts Stärke besteht darin, Alltagsphänomenen mit den Mitteln der Ökonomie und Statistik auf den Grund zu gehen. Was dabei herauskommt, erinnert nicht selten an die Analysen Bourdieus. Levitts Klassentheorie ist allerdings nicht weniger grobschlächtig als seine Gesellschaftstheorie überhaupt; er ist eher ein aufgeklärter Technokrat als ein engagierter Linker. Aber er ist ein Virtuose darin, Verbindungen zwischen Alltagsphänomenen herzustellen, die scheinbar nicht das Geringste miteinander zu tun haben.
Steven D. Levitt, Stephen J. Dubner: Freakonomics. Riemann Verlag München, 301 Seiten, 18,95 Euro
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