Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 26. November 2007, Heft 24

Pack schlägt sich, Pack …

von Max Hagebök

Es ist mir unverständlich, wie die Gehirne der Politiker funktionieren. Mit meiner allgemeinpolytechnischen Schulbildung dachte ich immer, wenigstens die Grundfunktionen des Gehirns zu begreifen. Doch wenn ich anfange, Politiker verstehen zu wollen, ist Feierabend. Ich erkläre hiermit meinen aufklärerischen Bankrott. Das Gehirn der Spezies Politiker ist nicht zu verstehen.
Es war einer dieser kleinen Anlässe, der zu einer fundamentalen Verschiebung in meinem Weltbild führte. Der Anlaß hat auch einen Namen: Frank Plasberg und seine Sendung Hart aber fair.
Wäre er doch bloß beim WDR geblieben. Da lief die Sendung recht gut, aber unter Ausschluß der Anschlußgebiete Ost. Doch die ARD wollte bei sonstigem Mangel an Qualität nicht auf diesen Mann verzichten und verschob ihn in den Mittwochabend. Statt wie sonst auch die qualitativen Momente der schon vergessenen Fernsehkultur in die Nacht zu verbannen, darf er zu einer fast kinderfreundlichen Zeit senden.
Und so trafen wir aufeinander. Völlig unvorbereitet zappte ich in seine aktuelle Sendung. Da saßen in einem nachempfundenen Klassenzimmer Kauder (CDU), Struck (SPD), Gysi, Hajo Schumacher und der unbekannte deutsche Vorstand einer amerikanischen Firma namens Martin Richenhagen. Vor ihnen am Lehrerpult stand und nervte Plasberg.
Natürlich nicht mich, sondern die anwesenden Politiker. Das war eine völlig abgefahrene Kiste. Denn das Thema lautete Müntefering weg, Reformen adé – wird jetzt durchgewurschtelt bis zur Wahl? Sprachlich also sehr volkstümlich.
Für mich als Ossi vielleicht ein bißchen unlogisch, da Reformen etwas verbessern sollen. Münteferings Großtaten erzielten aber irgendwie die entgegengesetzte Wirkung.
Doch was soll’s, die politischen Anwesenden sangen erst mal das Hohelied auf die menschliche Größe des Müntefering. Eigentlich hätte ich mit meiner dezidiert anderen Meinung dazu in mein Bett eilen können. Dann wäre dieser Abend für meine Bewußtseinerweiterung ergebnislos verlaufen. Aber ich überschritt die rote Linie. Spätestens als Plasberg gekonnt an der eindimensionalen Begründung des Rücktritts zu zweifeln begann, wurde ich interessiert.
Pausenlos dokumentierte Plasberg den Verrat der Koalition gegenüber den Wählern, zwischen den Koalitionspartnern und gegenüber den eigenen Akteuren. Gnadenlos wurden Dokumente der politischen Verkommenheit vorgezeigt.
Der menschelnde Abend der großen Duzer aus den verschiedenen politischen Lagern drohte in eine Anklage des politischen Verrats umzukippen. Für Struck und Kauder ging es plötzlich um viel.
Der kleine Rechtsanwalt aus Berlin begriff das etwas schneller als die selbstzufriedenen Parteioberen von SPD und CDU. Er erkannte den politischen Sprengstoff. Also bot er, wenn die Journalisten Plasberg und Schumacher nachfragten, Struck eine gesichtswahrende politische Lösung an, die dieser natürlich zurückwies. Statt dessen versicherte sich Struck immer öfter der Solidarität seines Regierungskumpanen aus der CDU. Egal, welche offen feindliche Handlung des einen oder anderen Koalitionspartners Plasberg dokumentierte, die beiden standen zueinander.
Kauder versuchte mehrfach, mit dem Publikumsjoker zu punkten: Statt zu antworten, appellierte er an gemeinsame Werte wie Freiheit und Glückseligkeit und sprach sowohl dem Gysi als auch dem Schumacher ab, diese akzeptieren zu wollen.
Die Sendung wurde jetzt zur Sternstunde der politischen Aufklärung. Da saßen die kompetent und moralisch argumentierenden Journalisten und der an die politische Rationalität glaubende Gysi mit zwei Männern in der Runde, deren einziges Streben darin besteht, ihre politische Macht unangreifbar zu machen. Je mehr sie in die Enge getrieben wurden, desto bösartiger und demagogischer ignorierten sie die Fakten. Der Betrogene entschuldigte den Betrüger – und umgekehrt. Applaus, Applaus.
Mir wurde klar, daß diese politischen Zombies von keiner rationalen Argumentation erreichbar sind. Schumacher lehnte sich ergriffen zurück. Plasberg neigte innerlich wahrscheinlich zur Prügelstrafe.
Und ich? Ich begriff, daß das Gehirn eines Politikers keine Moral produziert, daß Ehrlichkeit und Politik einander ausschließen wie Feuer und Wasser. Altersmilde lächelnd nahm ich meine Frau in den Arm und küßte ihr mein »Gute Nacht« auf den Mund.