Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 26. November 2007, Heft 24

Selbstanzeige

von Heinz W. Konrad

Bundesminister des Innern
Dr. Wolfgang Schäuble
Alt-Moabit 101 D
D-10559 Berlin

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

die nicht zuletzt dank Ihres Initiativreichtums in die Wege geleiteten Gesetzesmaßnahmen zur präventiven Terrorabwehr haben mich sehr nachdenklich gemacht. Im Unterschied zum zwar mannigfaltigen, aber doch ziemlich gedankenlosen Protest, der da und dort zu vernehmen und in der Regel jugendlichem Ungestüm zuzuschreiben ist, habe ich mich ernsthaft nach jenem Beitrag befragt, den ich, Heinz Wilhelm Konrad, zu mehr Sicherheit und zur Bewahrung der liebgewonnenen nationalen Heimeligkeit leisten kann. Das Ergebnis meiner Überlegungen hat mich zugegebenermaßen selbst überrascht, ist aber, bei Lichte besehen, wohl nur folgerichtig:

Ich möchte mich hiermit bei den zuständigen Sicherheitsorganen der Bundesrepublik Deutschland anzeigen!

Gründe dafür habe ich – selbst wenn mir diese Einsicht lange nicht zugänglich war – genug. Da mir nun klargeworden ist, daß man nicht allein erst dadurch zu einer Gefahr für die Gesellschaft wird, indem man Verbrechen begeht, sondern bereits schon, indem man sie ja begehen könnte, bitte ich darum, mich dauerhaft wegzuschließen. Die von Ihnen eingeführte Praxis der Überwachung des privaten Brief-, Mail- und Telefonverkehrs halte ich in diesem Zusammenhang zwar für löblich, aber – als gefühlsduselige Träumerei am nach oben offenen Kamin des Humanismus – für allzu lasch. Denn soviel ist doch wohl klar, und zwar keineswegs nur auf das Individuum Heinz W. Konrad bezogen!, jeder von uns Staatsbürgern ist ein möglicher Täter! Herr Schäuble: Sie sind von achtzig Millionen potentiellen Verbrechern umgeben! Daran und an Ihrer sich daraus ableitenden Verantwortung gemessen, ist die jüngste Diätenerhöhung von nahezu masochistischer Peinlichkeit.
Um aber wieder von mir selbst zu sprechen. Ich fahre zum Beispiel Auto: Wer garantiert denn, daß ich nicht schon morgen jemanden über den Haufen fahre? Ich betreibe, übrigens von Geburt an, einen Stoffwechsel: Wer weiß denn, was ich da wirklich über die Klärwerke in das Grundwasser einleite? Ich fahre – sofern kein Streik ist – gern mal mit der Eisenbahn: Wer weiß denn, was ich in meinen Gepäck mit mir führe? Ich gehe gern arabisch essen: Wohin geht denn wohl mein Trinkgeld, das ich gedankenlos dem Mustafa in die Hand drücke, wenn ich in dessen Laden Bin?
Ich könnte diese Reihe beliebig fortsetzen. Und mit jedem Beispiel würde immer ersichtlicher, was für ein kreuzgefährlicher Täter ich sein könnte. Deshalb: Ja, lesen Sie meine Post! Wenn Sie mögen, schicke ich stets gleich eine Kopie an Ihr Ministerium. Sammeln und lesen Sie meine E-Mails, die werden es ja bald nicht mehr so weit zum Verfassungsschutz haben, wenn der zu mir nach Berlin zieht. Geben Sie elektronische Fußfesseln aus, auf daß die, die um unsere Sicherheit wachen, wissen, wo wir uns aufhalten. Wie oft ergibt sich allein schon daraus alles kommende Grauen. Hören Sie mein Telefon ab: Wer weiß, wem ich da sage, was eben nur scheinbar harmlos ist. Beschleunigen Sie die Hirnforschung, weit fortgeschritten ist das Gedankenlesen doch schon. Oder besser noch: Weg mit mir, weg mit uns!
Weg endlich auch mit den verfassungsmäßig verbrieften Grundrechten! Was hat uns dieser pupslaue Liberalismus eigentlich gebracht? Sicher, persönliche Integrität. Ja gut, auch die Unverletzlichkeit der Privatsphäre. Na freilich, auch die Unschuldsvermutung. Von mir aus auch noch das Verbot der Zensur, bitte schön. Aber was sonst hat uns das alles gebracht? Nichts, denn sonst wären wir nicht dort, wo wir heute sind.
Schon meine Großmutter – väterlicherseits – hat nicht umsonst aus ihrer Lebenserfahrung heraus formuliert: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Und von Lenin – wenn auch nicht so direkt mit mir verwandt – ist die axiomatische Lehre überliefert, daß Vertrauen gut, Kontrolle aber besser sei. Uns Ossis haben Sie schon deshalb ganz auf Ihrer Seite, Herr Schäuble. Zumal wir mit einem Staatswesen, dessen Fürsorge um die Sicherheit seiner Bürger keine Grenzen kannte, schon solch gute Erfahrungen gemacht haben, daß wir seine leitenden Gremien in ihrem Tun nicht zufällig mit 99,8 Prozent bestätigt haben.
Also, Herr Minister: Bitte handeln Sie umgehend! Immerhin sind Sie Rentner, und so wahnsinnig viel Amtszeit steht Ihnen ja nun auch nicht mehr zur Verfügung. Nehmen Sie mich fest, bevor ich zum Täter werde, der ich das de jure ja doch schon bin. Und seien auch Sie selbst bitte vorsichtig. Bei der Entgegennahme von Behältnissen zum Beispiel. Geld, Herr Schäuble, ist keineswegs der einzig denkbare Inhalt eines Couverts, wenn Sie verstehen, was ich meine …
In Erwartung meiner überfälligen Festnahme grüßt verbindlich mit aufrichtiger Hochachtung vor Ihrem segensreichen Wirken

Heinz W. Konrad