von Ulrike Krenzlin
Neue Nachricht gibt es über Caspar David Friedrichs Mönch am Meer (1808-1810) und die Schriftsteller Achim von Arnim, Clemens Brentano und Heinrich von Kleist. Die hellsten Köpfe der Romantik drängten danach, das Werk schon im Jahr seiner Entstehung für eine Berliner Zeitung zu rezensieren. Von den im Herbst 1810 in der Akademie der Künste Berlin ausgestellten über zweihundert Kunstwerken ist allen dreien genau dieses Werk als das herausragende erschienen. Nur eine Rezensionen hat die Zeit überdauert und Ruhm erlangt: die von Kleist. Seither begleitet sein Text den Mönch am Meer, als ob Rezension und das Kunstwerk von Anfang an für einander bestimmt waren.
»Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegränzte Wasserwüste, hinauszuschauen … und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne … Das Bild liegt mit seinen zwei oder drei geheimnißvollen Gegenständen … in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit« da. Es hat »nichts als den Rahm, zum Vordergrund …, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären … man könnte die Wölfe und Füchse damit zum heulen bringen.«
Der Mönch am Meer wurde zusammen mit der Abtei im Eichwald (1809/ 1810) in der Jahresausstellung der Königlichen Akademie der Künste ausgestellt. Dieses Gemälde erscheint im Katalognachtrag unter dem Titel: Zwei Landschaften in Öl. Friedrich konzipierte sie als Paar. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. erwarb dieses Bildpaar aus der Ausstellung heraus für den damals enormen Preis von 450 Reichstalern.
Der Mönch am Meer wurde zum Schlüsselwerk der Romantik. Nicht Wald, Friedhof und gotische Ruine trugen den Ruhm in die Welt, sondern ein bis dahin unbekanntes Genre: die Insel Rügen mit Steilküste (Kreidefelsen auf Rügen, 1819), die Ostsee, das »Rauschen der Fluth«, »das Wehen der Luft«, »Ziehen der Wolken«, »einsame Geschrei der Vogelstimmen« (Brentano) und der stachelige Beberitzenstrauch.
Der gebürtige Greifswalder Friedrich lehnte das Bildungserlebnis Italien ab. Bei wochenlangen Wanderungen mit Dachranzen und Zeichenutensilien lernte er statt dessen seine Heimat Vorpommern und Rügen kennen. Der neue Kunstgegenstand brachte »in der ärmsten Gegend die ergreifenste (sic!) Wirkung hervor …« (Arnim). Mit ihm eroberte Friedrich die Bühne des europäischen Kunstgeschehens. In einer der ärmsten deutschen Gegenden, an den Rändern der Gesellschaft, wurde um 1800 künstlerisch reflektiert: über Verlust und Erneuerung des Glaubens, über Probleme der Kantschen Philosophie und die Kategorie des Erhabenen. Grundstimmungen nach dem Napoleonkrieg 1806 und dem Zerfall des Heiligen Römischen Reichs sind in Bildwerken kaum so beunruhigend umgesetzt worden wie von Friedrich.
Es wundert daher nicht, daß Heinrich von Kleist, ein Friedrich im Geist Ebenbürtiger, bereits vierzehn Tage nach Ausstellungseröffnung eine Rezension über dieses Bild veröffentlichte. Die Überraschung: Der Kleist zugeschriebene Text stammt nicht von ihm allein. Als Herausgeber der Berliner Abendblätter hatte er die von seinen Freunden eingereichten Texte zu einem eigenen Text umgeschrieben.
Am 13. Oktober 1810 erschien im 12. Blatt der Berliner Abendblätter die berühmte mit dem Kürzel cb. unterzeichnete Besprechung Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft.
Die zwei unveröffentlichten Einreichungen, eine von Clemens Brentano, die andere von Ludwig Achim von Arnim befinden sich heute im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main. Brentano erfand den Titel: Verschiedene Empfindungen von Friedrichs Seelandschaft, worauf der Kapuziner … Er nannte den Anblick auf »eine unbegränzte Waßerwüsthe« herrlich, »dazu gehört, daß man dahin gegangen, daß man zurückmuß, daß man hinüber mögte, daß man es nicht kann«. Die Empfindungen überwältigten ihn so, daß »ich selbst der Kapuziner« wurde. Über die Vereinahmung ihrer Texte beschwerten sich beide Autoren sofort bei Kleist. Im 19. Blatt vom 22. Oktober 1810 der Berliner Abendblätter antwortet der Herausgeber prompt. Er veröffentlicht auf Seite 78 folgende »Erklärung: Der Aufsatz Hrn. L. A. v. A. und Hrn. C. B. über Hrn. Friedrichs Seelandschaft … war ursprünglich dramatisch abgefaßt; der Raum dieser Blätter erforderte aber eine Abkürzung … Gleichwohl hat dieser Aufsatz dadurch, daß er nunmehr ein bestimmtes Urtheil ausspricht, seinen Charakter dergestalt verändert, das ich, zur Steuer der Wahrheit … erklären muß: nur der Buchstabe derselben gehört den genannten beiden Hrn.; der Geist aber, und die Verantwortlichkeit dafür, so wie er jetzt abgefasst ist, mir. H. v. K.«
Nicht eigene, sondern die bewegenden, nicht flüssig entwickelten Ideen seiner Freunde haben Kleist zu einem sprachlichen Meisterwerk gedrängt. Diese wahre Geschichte wird wahrscheinlich wenig daran ändern, daß der großartige Text von Kleist den Mönch am Meer weiterhin begleitet. Lange nach Kleists Tod, im Jahr 1828, veröffentlichten Arnim und Brentano ihre Texte in der Zeitschrift Iris.
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