von Ulrike Krenzlin
Widukind von Corvey (925-973), bedeutendster Chronist des 10. Jahrhunderts, war generationsgleich mit Otto dem Großen. In seiner Sachsengeschichte „Rerum gestarum Saxonicarum Historica libri tres“ kann Widukind als Zeitzeuge die Erfolgsgeschichte desjenigen Kaisers beschreiben, der als Gründer des Ottonischen Reichs gilt. Weil Otto der Große sich in die Rechtsnachfolge der Römischen Kaiser stellt und seine Herrschaftsinsignien (Wien, Schatzkammer) mit Salbung und Weihe im Gottesgnadentum gründen, wurde in der Folge daraus das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (HRRDN). Es hat von seinen Anfängen an bis zu dessen Auflösung im Jahr 1806 in fast unveränderten Grenzen existiert. Kern des HRR ist also das Europa, in dem wir heute leben. Von den hohen Regierungs- und Verwaltungsapparaten bis hinunter in die Ebenen der Künste verband in diesem Reich alle miteinander eine Sprache, das Latein. Wir wollen dieses Europa gern wieder haben. Doch steht am Anfang unserer Bemühungen kein weltanschauliches Konzept. Die neue Qualität der Gemeinsamkeit ist eine Währungsunion. Sie hat uns in die Krise gebracht. Ein Ausweg ist noch nicht erkennbar.
Wir sollten uns für das HRRDN schon deswegen interessieren, weil mit ihm eine einzigartige europäische Erfolgsgeschichte verbunden ist. Neunhundert Jahre hat es existiert. Die Landesausstellung Sachsen-Anhalt „Otto der Große und das Römische Reich – Kaisertum von der Antike zum Mittelalter“ bringt die entscheidenden Probleme an die Öffentlichkeit. Wer war Otto der I.? Wie ist diesem Herrscher ein zukunftsweisendes Lebenswerk gelungen? Magdeburg ist der richtige Ort für diese Fragen. Denn seit zehn Jahren ringt die Stadt mit allen Kräften um das Thema Europa. 2001 ging es um „Otto den Großen, Magdeburg und Europa“, 2006 folgte das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“. 2012 ist das Jahr, in das der 1100. Geburtstag Otto des Großen fällt und in dem sich seine Kaiserkrönung in Rom am 2. Februar zum 1050. Mal gejährt hat. Mit diesem Jubiläumsjahr schließt das Kulturhistorische Museum die Trilogie ab. Nicht übertrieben erscheint es, von einer Trilogie der Leidenschaft zu reden. Denn sie ist getragen von ihrem Initiator, dem Museumsleiter Matthias Puhle. Unter seinem Dirigat konnte sich das Museum außerdem zum Wissenschaftlichen Kompetenz-Zentrum für Mittelalterforschung erweitern. Kein renommierter Mittelalterhistoriker fehlt im Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung. In den Textbeiträgen zeigen sich Geschichts- und Altertumswissenschaft mit Bernd Schneidmüller und Helmut Leppin an der Spitze auf glanzvoller Höhe. Auf der Pressekonferenz kam das Ziel aller Bemühungen wie nebenbei zur Sprache: „Magdeburg wird wieder was es einmal war, ein Zentrum der Kultur in Europa“.
Wie nun aber kam Otto I. seinem Ziel nahe? Zuvörderst mit Heiratspolitik. Der Achtzehnjährige, noch unmündige Otto, heiratet 929 eine angelsächsische Prinzessin. Mit dieser Heirat versicherte sich König Heinrich I., Ottos Vater, in seinem an der Ostgrenze gefährdeten fränkischen Reich der Unterstützung einer konsolidierten europäischen Macht. Edgith, die Tochter des Königs von Wessex, erhält von ihrem Schwiegervater Magedeborch als Morgengabe. Damit wird Magdeburg als zentraler Handlungsort des künftigen Königs und Kaisers Otto in die Geschichte eingeführt. Als der 24jährige Otto im Jahr 936 in Aachen zum ostfränkischen König gekrönt wird, beginnt sein Aufstieg. Magdeburg wählt er zum Zentrum seiner Politik, die in erster Linie Missionstätigkeit im Osten sein musste. Nach dem frühen Tod von Edgith 946 heiratet Otto Adelheid von Burgund, die Witwe des 950 vergifteten Königs Lothar von Italien. Nach Adelheids abenteuerlicher Befreiung aus Garda schließt Otto 951 in Pavia die Ehe mit der Zwanzigjährigen. Mit dieser zweiten Ehe erwirbt er den Titel „König der Franken und Langobarden“.
Mit dem Krönungs-Ort Aachen und der Krönungszeremonie hatte sich Otto bereits in die fränkisch-karolingische Tradition gestellt. Doch für seinen Erfolg genügt das nicht. Prüfstein bleibt die Sicherung der umkämpften Ostgrenze. Dauerbelastungen stellen unter anderem Anstürme der Ungarn dar. Sie stören den Prozess der Christianisierung, der mit Gründung von Klöstern, Kirchen und Bistümern und deren Bewirtschaftung die Kultivierung bis zur Elbe vorantreibt. Die Kampftechnik der Angreifer war den Europäern überlegen und sehr gefürchtet. Die ungarische Reiterei beherrschte das Parthische Manöver: Bogenschützen können im vollen Galopp ganz plötzlich nach hinten schießen. Fränkische und sächsische Krieger kämpfen fast nur zu Fuß. Sie bleiben immer unterlegen. Kein Kloster, keine Burg überstand einen solchen Reiterangriff. Nach mehreren Anläufen besiegte Otto am 10. August 955 die Ungarn auf dem Lechfeld. Dieser Sieg hob sein Ansehen in der christlichen Welt. Kurz danach, 962, wird er im Petersdom in Rom von Papst Johannes XII. zum Kaiser gekrönt. Seit dem steht „Otto IMP(erator) Aug(ustus)“ auf seinem Siegel. Jetzt ist er den römischen Kaisern gleichgestellt, die seit Augustus diese Titel getragen haben.
Als Dank für seinen Hunnensieg und die errungene Kaiserwürde kann Otto in Magdeburg ein Erzbistum gründen und die Suffragan-Bistümer Merseburg, Halberstadt und Zeitz. Grundlage für die Gründung des Moritzklosters in Magdeburg war der Erwerb bedeutender Reliquien, in unserem Fall von den Heiligen Mauritius und Magdalena. Errichtet wird der erste Dom, an dessen Stelle seit Anfang 13. Jahrhunderts der heutige Domneubau steht. Die erste gotische Kathedrale, die im HRR nach französischem Vorbild errichtet worden ist, entstand in Magdeburg. An der Elbgrenze sind zur Sicherung der Elbgrenze vor heidnischen Überfällen Zeichen und Wunder gesetzt worden.
Zur Methode der Ausstellungs-Veranstalter gehört es, eingedenk gravierender Wissensverluste, die durch Reformation, Aufklärung, Atheismus über Jahrhunderte das Verständnis für diese frühmittelalterliche christliche Kultur vermindert haben, mit sieben Korrespondenzorten auszugleichen. Wallhausen präsentiert sich als Geburtsort Ottos des Großen. Halberstadt öffnet das schwierige Thematik: „ In der Hoffnung auf ewigen Lohn“. Denn Otto der Großen rechnete lebenslang mit Lohn für seine Bemühungen im Jenseits. Merseburg zeigt die Gründungsgeschichte seines Bistums. Quedlinburg war der Hochzeitsort von Otto und Edgith. Tilleda zeigt, wie es in einer Kaiserpfalz zuging. Besonderes Interesse erweckt Memleben mit dem spannend recherchierten Thema „Wenn der Kaiser stirbt – Der Herrschertod im Mittelalter“. Denn in Memleben ist Otto der Große am 7. Mai 793 gestorben. Für ihn ist eine Klosterkirche mit Memoria errichtet worden. In Memleben geht es um die Memoria als ein Kernproblem der christlichen Weltanschauung in dieser Zeit. Damals war es so, dass der Tod nicht das Ende des Lebens bedeutete. Beim Tod trennen sich Seele und Körper für unbestimmte Zeit. Die Seele jedoch ist unsterblich. Aber sie kann nur zu den Seligen im Himmel aufsteigen, wenn sie die Prüfungen des Jüngsten Gerichts bestanden hat und die Seelenwaage nach oben oder unten ausschlug. Daher hat jeder Mensch, ob Kaiser oder Armer mit Buße und guten Taten tagtäglich um ein gerechtes Leben gerungen. Mit fulminantem Furor sind in der Apokalypse des Johannes im Neuen Testament die Ängste und Strafen ausgestaltet, die die Menschen erwarten mussten. Dante erhebt in der „Göttlichen Komödie“ dieses Feuerwerk der Strafen und Ängste, die die Menschen im Mittelalter durchlebten auf die Höhe der Weltliteratur. Dürer hat die Apokalypse mit Wucht und Gewalt in Szene gesetzt. Seine Holzschnitte gehören zu den bedeutendsten Kunstwerken vorreformatorischer Zeit. In der Magdeburger Ausstellung wird gezeigt, dass alle in den Korrespondenzorten gezeigten Aspekte das Leben und Wirken Otto des Großen bestimmt haben. Sie sind mit hochkarätigen Kunstwerken aus europäischen Museen belegt, die sonst nicht ausgeliehen werden. Das Ergebnis rechtfertigt die Hoffnung, dass Magdeburg wieder wird, was es einmal war.
Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter. Landesausstellung Sachsen-Anhalt im Neubau des Kulturhistorischen Museums Magdeburg. Bis 9. Dezember 2012, täglich 10-18 Uhr, Ausstellungskatalog bei Schnell & Steiner 24,90 Euro (39,95 Euro im Buchhandel)
Schlagwörter: Landesausstellung, Magdeburg, Otto der Große, Ulrike Krenzlin