15. Jahrgang | Nummer 19 | 17. September 2012

Eine Kunst- und Wunderkammer als BDM-Schule

von Kai Agthe

Die Wende für die Neuenburg bei Freyburg an der Unstrut begann am 25. November 1989. An diesem Tag begehrten Freyburger Bürger Einlass in die Anlage, die gut zwei Jahrzehnte unzugänglich war. Was sich bei der erzwungenen Führung den Blicken darbot, sorgte für nachhaltiges Entsetzen. Architektur und Sammlungsbestände waren aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung akut gefährdet. Der Museumsleiter Peter Berger erhielt erst Hausverbot, 1990 dann die Kündigung und die Neuenburg eine umfassende Sanierung. Fest steht: Wie die im Wendejahr baulich ebenfalls stark gefährdete Klosterkirche im benachbarten Schulpforte auch, so kam die friedliche Revolution für die Rettung der Neuenburg noch rechtzeitig. Deshalb muss man fast von Glück sagen, dass zum Beispiel die CDU der DDR Schloss Burgscheidungen als repräsentativen Tagungsort weitab von Berlin mit Beschlag belegt hatte und pflegte. Man kann sich lebhaft vorstellen, was geschehen wäre, wenn es das Schicksal der Neuenburg hätte teilen müssen.
Verbunden ist der neunzehnhundertneunundachtziger Aufbruch auf der Neuenburg, neben vielen anderen, mit Kristine Glatzel, die von 1990 bis 2003 als Direktorin des Schlossmuseums segensreich wirkte. Der Wiederaufbau der Burganlage und die Neueinrichtung des Museums wurden von ihr erheblich geprägt. 1990 begann aber nicht nur die grundlegende Restaurierung der Neuenburg, sondern auch die umfassende Erforschung ihrer Geschichte. In den letzten zwanzig Jahren erschien eine große Zahl von Aufsätzen und Publikationen zu ihrer frühen Historie. Eine Darstellung zur jüngeren Geschichte aber war ein Desiderat. Jörg Peukert und Kordula Ebert haben aber 2010 einen Band vorgelegt, der, unter Verwendung von viel Bildmaterial aus dem Burgarchiv über die Geschichte der Burg von 1815, als die Provinz Sachsen preußisch wurde, bis zur Neueröffnung des Museums in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sehr konzentriert informiert.
Das Buch überrascht mit über 130 vorzüglich reproduzierten Illustrationen. Die meisten Fotos werden erstmals veröffentlicht. Allein schon die große Bildfülle nimmt für die Publikation ein. Am Anfang steht eine Aquarellzeichnung des Innenhofes mit der Doppelkapelle von dem Baukondukteur Behm aus dem Jahre 1847, der in Vorbereitung einer ersten Instandsetzung von Schloss Neuenburg durch den preußischen Staat die Anlage im Bild dokumentierte. Am Ende stehen Fotos von den wundervoll restaurierten Räumen und Exponaten des Schlosses.
Die beiden Autoren legen das Hauptaugenmerk in Wort und Bild auf die Museen, die es hier gab und von denen kaum etwas bekannt war. Eine der früheren Notizen schrieb Friedrich Ludwig Jahn der Neuenburg 1828 ins Stammbuch. Die früheste Fotografie von Gästen vor Eröffnung des ersten Museums Mitte der dreißiger Jahre datiert vom 19. September 1917 und zeigt die „Gebrüder V. und H. von Bismarck“ in der heutigen Bohlenstube. Der eine trägt Uniform, der andere Zivil. Was mag die beiden im dritten Kriegsjahr hierher gebracht haben?
Das erste Museum öffnete 1935 seine Pforten. Es muss Spekulation bleiben, inwieweit es neben heimatgeschichtlichen auch propagandistische Gründe hatte, dass es im dritten Jahr der NS-Herrschaft eröffnet wurde. Die von Otto Krauschwitz, einem ehemaligen Marineoffizier, ehrenamtlich geleitete Einrichtung hatte sich die Neuenburg mit einer BDM-Schule zu teilen. Krauschwitz, der viel von der Welt gesehen hatte, machte aus dem Museum eine Art Kunst- und Wunderkammer, in der auch eine ethnologische Sammlung zu sehen war, die der Kustode privat ersteigert hatte. Viele Exponate gingen nach Kriegsende unwiederbringlich verloren.
Das erste Museum existierte zehn Jahre. Das zweite brachte es auf immerhin zwanzig: 1951 wiedergegründet, hat das Museum zu DDR-Zeiten über die Kulturgeschichte der Neuenburg und die Naturgeschichte der Gegend, die von ihren Zinnen aus zu überblicken ist, informiert. 1955 etwa kamen 50.000 Gäste, um sich durch die Räume führen zu lassen. 1971 endete diese Episode abrupt. Wegen Hausschwamm- und Schädlingsbefall wurde die Neuenburg gesperrt.
Dass die Anlage nach ihrer Schließung 1971 mehr oder minder dem Verfall preisgegeben wurde, erklären die Autoren nicht zuletzt mit dem Umstand, dass sich die Anlage ideologisch nicht vereinnahmen ließ. Ganz im Gegensatz zur Wartburg, die, ohnehin ein Touristenmagnet, im Luther-Jahr 1983 nochmals eine Aufwertung und Besuch von Staatschef Honecker erhielt. Erstaunlich immerhin, dass man, theoretisch, Großes mit der Neuenburg vorhatte. Aber Papier war auch und vor allem in der DDR geduldig. So sollte auf den Höhen über Freyburg das Weinmuseum der DDR entstehen. Das Institut für Denkmalpflege in Halle ging sogar noch einen Schritt weiter und empfahl 1973 in einer Studie für eine künftige Nutzung neben dem Weinmuseum auch die Einrichtung von Gastronomie und eines Übernachtungsbetriebes. Schöne Ideen, denen aber im Land steter Mangelwirtschaft keine Taten folgten. Die Burg wurde nicht wiedereröffnet, sondern versank als Dauerbaustelle in einen Dornröschenschlaf, aus dem sie auf Betreiben von engagierten Freyburgern erst mit der Wende 1989 erwachte.
Die folgende Auskunft beider Autoren, die letzten DDR-Jahre der Neuenburg betreffend, kann deshalb für sich stehen: „Die Kernaufgaben des Museums wurden ab Mitte der 1980er Jahre immer mehr vernachlässigt. Insbesondere kam es zu einer Vernachlässigung der Arbeit mit dem Fundus, sodass Museumsinventar durch jahrelange unsachgemäße Lagerung großen Schaden erlitt. Das hätte jedoch auch mit geringen Mitteln verhindert oder zumindest eingedämmt werden können. Der Vorgang ist sachlich kaum zu erklären.“ Noch heute möchte man den Brand, der nach einem Blitzeinschlag am 22. Juni 1989 Teile des Dachstuhls der Neuenburg zerstörte, eine tiefere Bedeutung beimessen: Denn höhere Gewalt ließ die Anlage wieder ins Bewusstsein rücken. Die Flammen waren aber kein Ende, sondern ein Anfang.
Gern hätte man mehr erfahren über die, siehe oben, BDM-Schule, die bis 1945 auf der Neuenburg untergebracht war und von der Obergauführerin Käthe Reifert geleitet wurde. Die fühlte sich von den Besuchern des Schlosses so gestört, dass es immer wieder zu Reibereien mit dem Museumspersonal kam. Im vorliegenden Band wird die BDM-Schule, die nicht den Stellenwert einer Napola hatte, aber nur in einem Satz und in den Bildtexten erwähnt. Dass es, wenn sich der Rezensent richtig erinnert, auch eine Thingstätte im Umfeld der Veste gegeben hat, müsste mit dieser Nutzung zu erklären sein. Leider wird das im Buch nicht thematisiert.
Der titelgebende Ausruf „Das wolle der Reisende nicht unbesehen lassen“, dem jährlich um die 70.000 Besucher folgen, gilt für Schloss Neuenburg und sein Museum – die seit vielen Jahren zur Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt gehören – heute mehr denn je.

Jörg Peukert und Kordula Ebert: „Das wolle der Reisende nicht unbesehen lassen“. Die Museen im Schloss Neuenburg, Verlag Janos Stekovics, Wettin OT Dößel 2010, 80 Seiten, 14,80 Euro