Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 20. August 2007, Heft 17

Überall ist Kaiserzeit

von Mathias Iven

Bei ihrem letzten Streifzug durch die Berliner Baugeschichte widmeten sich Michael Bienert und Elke Linda Buchholz den zwanziger Jahren (Das Blättchen 15/2006). In ihrem neuen Buch geht es nun um die davor liegende Zeit zwischen Reichsgründung und Novemberrevolution.
Inhaltlich und thematisch wird dem Leser auch dieses Mal wieder sehr viel geboten. Und wenn man – am Schluß angekommen – das Buch zuklappt, ist man erstaunt, wie viel einerseits in den Jahren zwischen 1871 und 1918 gebaut wurde und welch große Anzahl an Bauten andererseits die Zeitläufte unbeschadet (oder heute saniert) überstanden hat. Ob es die Kanalisation oder die Krankenhäuser sind, ob wir ein Rathaus der Gründerzeit oder einen preußischen Schulbau betreten – überall treffen wir auf das architektonische Erbe der Kaiserzeit. Und: »Die Erkennbarkeit der Kaiserzeit nimmt zu,« so die Autoren, »insofern stellt dieses Buch auch die Momentaufnahme einer aktuellen Stadtentwicklung dar.«
Ausgehend von der Friedrichstraße, wird der Leser in dreizehn Kapiteln durch den aufkommenden Berliner »Massenverkehr« zu den »Verwaltungs- und Versorgungsbauten« geführt, er wirft einen Blick auf den »Handel und Wandel«, die bedeutenden Museumsneubauten dieser Zeit und das Leben der Berliner Künstler und Poeten. Die Reichshauptstadt mit ihren kaiserlichen Bauten und Denkmalen wird besichtigt, und der »normale« Wohnungsbau wird dargestellt. »Raus ins Grüne« hieß es Ende des 19. Jahrhunderts und so entstanden am Rande der Metropole unter anderem die Villenkolonien Grunewald und Wannsee. In alle Richtungen vergrößerte sich die Stadt: 1871 zählte man rund 825000 Einwohner, bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges kamen fast eine Million Menschen hinzu. So verwundert die in dem Buch gestellte Frage »Wohin mit den Toten?« nicht.
Doch nicht allein den Bauten gilt das Augenmerk der Autoren, auch die wichtigsten Persönlichkeiten dieser Periode werden gewürdigt. Da stehen dann neben den Politikern »Bebel & Co.« die Frauen – ob als Gewerkschafterin oder Künstlerin – in ihrem Kampf um Gleichberechtigung. Architekten wie Messel oder Muthesius treffen auf ihre Malerkollegen Zille, Liebermann oder Menzel. Hinzu gesellt sich der Wissenschaftsbetrieb – vielleicht ein wenig zu kurz abgehandelt.
Das den Band abschließende Kapitel steht unter der Überschrift Marsch in den Krieg. Kasernenbauten, Übungsplätze: Solcherart Einrichtungen prägten lange Jahre das Gesicht Berlins. Was davon die kriegerischen Auseinandersetzungen überstanden hat, wird heute größtenteils durch Einrichtungen der Verwaltung genutzt.
Auch dieser neue Wegweiser versteht es, den Blick für einen Gang durch das »alte Berlin« zu schärfen. Man darf auf den nächsten Architektur-Verführer des Autorenduos gespannt sein.

Michael Bienert, Elke Linda Buchholz: Kaiserzeit und Moderne. Ein Wegweiser durch die Stadt, Berlin Story Verlag 2007, 278 Seiten, 19,80 Euro