Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 23. Juli 2007, Heft 15

Immer der Nase nach!

von Kai Agthe

Gérard Depardieu hat ihn 1990 in einem klassisch inszenierten Mantel-und-Degen-Film verkörpert. Steve Martin spielte den an seinem extrem ausgebildeten Gesichtserker Leidenden in der modernen Adaption Roxane (1987): Als Feuerwehrhauptmann namens C. D. in einer Kleinstadt in den USA, der dank seines exorbitanten Riechorgans bereits im Entstehen begriffene Brände wahrnimmt, dann aber selbst entbrennt: in Liebe zur Astronomin Roxane (Daryl Hannah). Die Rede ist von Cyrano de Bergerac, dessen unglückliche Liebe zu Roxane Leser und Zuschauer seit Jahrhunderten in den Bann zieht. Die Kleine Bühne Naumburg zeigt die von Jo Roets dramatisierte Geschichte von Edmond Rostand in diesem Sommer in ihrer pittoresk anmutenden Freilichtspielstätte, dem Marientor, als Drei-Personen-Stück.
Ähnlich wie im vergangenen Jahr, als eine in kaiserlich-chinesischen Farben schwelgende Turandot zu sehen war, hat man sich auch bei Cyrano für eine Mischung aus Schau- und Figurenspiel entschieden. Das pfiffige Bühnenbild von Uwe Riemer konzentriert sich auf eine Art Klettergerüst, das sich mit wenigen Handgriffen vom Liebesnest zum Kriegsschauplatz umgestalten läßt. Anna Fülle (Roxane), Paulchen Günther (Cyrano) und Axel Kunze (De Guiche) spielen selbst und führen alternierend die Puppen, die Dana Juliane Fret gestaltete. Das sorgt für eine ungeheure Dynamik und erhebliche Heiterkeit beim Publikum, die – etwa beim Wechsel der Figuren und beim Umbau der Szenerie – aus dem Spiel im Spiel resultiert. Alle weiteren Akteure werden durch Stabpuppen verkörpert. So auch der blondhaarige und – ach! – kleinnasige Kadett Christian de Neuvillette, in den sich Roxane verliebt. Die Dreiecks- wird zur Vierecksgeschichte, da auch der Graf de Guiche Mademoiselle gewinnen will.
Zwischen allen steht Cyrano, der Roxane liebt, seine Zuneigung aber nicht offenbart, weil er fürchtet, wegen seiner gewaltigen Nase abgewiesen zu werden. Mit einer Selbstlosigkeit, die an Masochismus grenzt, schreibt er im Namen des Kontrahenten Christian Liebesbriefe an Roxane. Cyrano hält auch den heiratswütigen de Guiche auf, damit es Roxane gelingt, ihren Christian zu heiraten. Denn der Jüngling muß in den Krieg ziehen, wo er sein Leben lassen wird. Als wäre der Tod des Geliebten die notwendige Voraussetzung, um die nunmehr blut- und tränengetränkte Wahrheit erkennen zu können, wird Roxane klar, wer ihr all die poetischen Liebesbekundungen geschrieben und ihr damit sein Herz zu Füßen gelegt hat. Das Melodram endet für beide Figuren an den äußersten Rändern der Freilichtbühne. Diese von der Regisseurin Kristine Stahl akzentuierte Unentschiedenheit bietet einen Deutungsraum, der so groß ist wie die Spielfläche, auf der sich Roxane und Cyrano so verloren ausnehmen.
Anna Fülle spielt das Fräulein Roxane, die Stimme auf schrill gestimmt, mit einer Mischung aus Naivität, Liebestollheit und Keckheit. Axel Kunze als Graf de Guiche ist ein alternder Melancholiker, der es, zuletzt mehr kriegs- als liebeslüstern, nicht nur im Kreuz hat. Paulchen Günther gibt den Cyrano überzeugend als einen eigentlich sensiblen, aber vom Leben und der Liebe hoffnungslos enttäuschten Mann, der heimlich ein großer Dichter, aber auch ein unheimlich ätzender Ironiker ist. Das barocke Pariser Sommerstück des Naumburger Theaters sollte sich kein Freund der darstellenden Kunst entgehen lassen. Wie Sie in der Domstadt zum Marientor und zu Cyrano finden, fragen Sie? Na, ganz einfach: Immer der Nase nach!

Vorstellungen: 20. Juli und 24. August jeweils 19.30 Uhr; am 25. und 31. August um 20 Uhr. Informationen und Karten unter (03445) 776265. www.theater-naumburg.de