Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Juli 2007, Heft 14

Ein Autor, ein Verleger – zwei Freunde

von Kai Agthe

Diesen Briefwechsel kann man nicht lesen, ohne mit beiden Korrespondenzpartnern zu leiden. Wolfgang Koeppen (1906-1996) gehört des Lesers Mitleid, weil der Dichter in seinen Briefen über Jahrzehnte unsäglich viel Energie aufbringen mußte, um immer wieder aufs Neue zu erklären, weshalb die Romane, an denen er angeblich intensiv arbeitete, nie fertig werden.
Siegfried Unseld (1924-2002) gilt das Mitgefühl, weil aus dem Verleger ein Sponsor und aus diesem ein Mäzen des zeitlebens unter Geldmangel leidenden Autors wurde. Der Unterschied: Ein Sponsor erwartet Gegenleistungen, der Mäzen nicht. Und irgendwann hat sich wohl auch Unseld damit abgefunden, daß er keinen großen Prosatext mehr von Koeppen zu erwarten habe. Die Zahlungen an seinen Freund stellte er aber nicht ein. Mehr noch: Unseld legte alle frühen Bücher der Autors wieder auf, um ihm auf diese Weise Tantiemen zu sichern. Allen voran die Roman-Trilogie, die Koeppen berühmt gemacht hatte: Tauben im Gras, Das Treibhaus und Tod in Rom (1951 bis 1954).
Aus Anlaß des achtzigsten Geburtstages von Wolfgang Koeppen folgte 1986 sogar eine Werkausgabe. Der Verleger beauftragte den Freund, wie den Briefen zu entnehmen ist, auch mit dem Verfassen von Nachworten, um ihm dafür oft überdurchschnittlich hohe Honorare zu zahlen. Die erste und letzte wirklich originäre Veröffentlichung, die von Koeppen in gut fünfunddreißig Jahren bei Suhrkamp erschien, war der Band Jugend von 1976.
Dieses Buch, das auch eine Hommage an Koeppens Geburtsstadt Greifswald ist, blieb für Suhrkamp zwar ein literarischer Einzelfall, zählt aber neben Walter Benjamins Berliner Chronik und Jean-Paul Sartres Die Wörter zu den wichtigsten Büchern in der modernen europäischen Literatur, die – autobiographisch grundiert und mythisch überhöht – von einer Kindheit am Beginn des 20. Jahrhunderts erzählen.
Alfred Estermann und Wolfgang Schopf haben den Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und Siegfried Unseld vorzüglich kommentiert und mit gleich zwei Nachworten versehen. Estermann und Schopf haben errechnet, was der Verleger seinem Autor in einem repräsentativen Jahr zukommen ließ. Dies addierend, dürfte Unseld dem Freund in drei Jahrzehnten mehrere hunderttausend Mark überwiesen haben, um dessen finanzielle Not zu lindern. Wolfgang Koeppen, der mit fast neunzig Jahren in einem Münchener Pflegeheim starb, blieb bis zuletzt auf die Gaben des Freundes angewiesen. Wie Siegfried Unseld in den Briefen stets beteuert, wäre des Freundes finanzielle Situation nicht so prekär, wenn er nur einige der lange angekündigten Romane realisiert hätte: Aber Die Scherzhaften, Bismarck oder All unsere Tränen, In Staub mit allen Feinden Brandenburgs und Tasso oder Die Disproportion kamen, wenn überhaupt, nie über Vorstudien hinaus. Auch von Koeppens Autobiographie Nein. Mein Leben existiert im Nachlaß nur ein Deckblatt.
Die Schreibhemmung, die den Autor immer dann befiel, wenn er sich einem Romanprojekt zuwandte, hatte gewiß viele Ursachen. Die Herausgeber des Bandes scheinen die psychische Belastung, die für Wolfgang Koeppen aus der schweren Alkohol- und Tablettensucht seiner Frau Marion (1928-1984) erwuchs, zu unterschätzen. Die mit der Krankheit verbundenen Exzesse werden unter anderem in einem Brief, den Koeppen am 18. August 1967 an Unseld schrieb, in aller Drastik geschildert. Deshalb ist es kaum vorstellbar, daß ihm der Verfall seiner Frau nur als Feigenblatt für die Schreibblockierung gedient habe. Und wenn er den Tod Marions dem Freund in Frankfurt/Main nur telefonisch, nicht aber brieflich mitteilte und Marion in späteren Schreiben nicht mehr erwähnte, heißt das nicht, daß Koeppen dieser Verlust nicht tief berührte.
Und natürlich war auch diese Freundschaft nicht frei von Spannungen. Zu solchen kam es etwa, wenn sich Koeppen in seiner Eitelkeit gekränkt oder von Unseld zu hart angegangen fühlte. Auch diese Befindlichkeiten bekunden sich in des Autors vorliegenden Briefen. Aber der Schriftsteller wußte, daß er mit Unseld das große Los gezogen hatte. Umgekehrt war auch Unseld klar, was Suhrkamp an Wolfgang Koeppen hatte: nichts Geringeres als einen der bedeutendsten deutschen Prosa-Autoren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Credo, das beider Freundschaft trug, verkündete Unseld schon in einem Brief vom 9. Dezember 1959: »Miteinander auf Gedeih und Verderb!« An diesen Satz erinnerte sich Wolfgang Koeppen in einem von großer Dankbarkeit getragenen und deshalb rührenden Schreiben vom 13. September 1976, in dem es heißt: »Du verstandest mich, hattest wenige, begründete Fragen, willigtest, wie gelobt, in mein letztes Wort, der Text wurde ein Buch, es war alles klar, ohne Zorn, Druck, Mißgunst, schulmeisterliche Strenge, der Verleger hielt zu mir, auch dies war im Anfang gesagt worden, durch dick und dünn.« Diese Briefe wechselten nicht nur ein Autor und sein Verleger, also Geschäftspartner, sondern zwei echte Freunde!

Ich bitte um ein Wort … Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen – Siegfried Unseld, herausgegeben von Alfred Estermann und Wolfgang Schopf, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 2006, 584 Seiten, 24,90 Euro