von Wolfram Adolphi
In Sigüenzo, hier irgendwo, nicht weit von Guadalajara, lagen im März 1937 über 50000 Italiener und eine spanische Division. Das habe ich in dem Spanischen Tagebuch von Alfred Kantorowicz gelesen. Schreib dir den Namen für deine Arbeit auf.«
Die das sagt, heißt Dolores, ist eine junge Spanierin, und der ihr zuhört, heißt Felix, geht in Deutschland in die 11. Klasse, und was sie beide zusammenführt auf spanischen Landstraßen, ist das gemeinsame Interesse am Spanienkrieg, der hier vor siebzig Jahren getobt hat. Felix hat es geschafft, dieses Interesse zum Thema einer Jahresarbeit im Leistungskurs Geschichte zu machen, und Dolores, die Studentin, hat einen österreichischen Großvater, der selbst Spanienkämpfer war und dessen Erzählungen sie in ihren Bann geschlagen haben.
»Die Italiener und Marokkaner«, fährt Dolores an jenem Tag nahe Sigüenzo in ihrer Schilderung der Ereignisse fort, »sollten erreichen, was am Manzanares und am Jarama gescheitert war. Madrid erobern.« Aber: »Die Republikaner hatten dazugelernt. Sie besaßen mittlerweile hervorragende Strategen, die vor allem das Zusammengehen der verschiedenen Truppen besser organisierten. Von dem zeitweiligen Chaos bei den Republikanern hast du noch nichts gehört, was? Warum kaum einer der Alten auch mal darüber redet, verstehe ich nicht. Mir erscheint das normal und verständlich, wenn du nur bedenkst, wie viel unterschiedliche Typen für die Republik marschierten. Aber hier hörte das Durcheinander auf. Die Italiener verloren die Schlacht!«
Erdacht haben sich die Geschichte von Dolores und Felix die halleschen Schriftsteller Christina Seidel und Kurt Wünsch, und aufgeschrieben haben sie sie mit dem erklärten Ziel, ein Jugendbuch zu verfassen – ein Buch, das den heute Vierzehn-, Fünfzehn-, Sechzehnjährigen eine Ahnung davon geben soll, was das war: der Spanienkrieg 1936 bis 1939.
Kann die Form des Romans, für die sich die beiden Autoren entschieden haben, bei einem solchen Vorhaben die geeignete sein? Kann der Anspruch, Fakten vermitteln und historische Hintergründe erörtern zu wollen, in eins gebracht werden mit der Forderung, auch das Bedürfnis nach erbaulicher Unterhaltung zu erfüllen? In bezug auf Ereignisse, die Jahrhunderte zurückliegen, ist das meist gar keine Frage.
Aber seltsam: Wenn es um die jüngere Geschichte geht, bekommen die Fakten leicht etwas Sperriges, etwas, das im Nachrichtlichen verharrt und sich dem Erzählen nicht wirklich fügen will – zumal dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Thema so gar nicht in den Hauptstrom der allfälligen Geschichtsbetrachtung gehört, seine Behandlung daher auf eine weitgehend unvorbereitete Leserschaft trifft und die Notwendigkeit, ein umfassendes Gerüst an Zeitangaben, geographischen Details und historischen Abläufen zu präsentieren, um so größer ist.
Christina Seidel und Kurt Wünsch wissen um die Klippen, wie sie sie umschiffen, ist beachtlich, und das Resultat ist rundum lesens- und empfehlenswert.
Drei Dinge vor allem sind es, die das Buch tragen. Da ist erstens die gut gebaute Rahmengeschichte, in der der siebzehnjährige Felix sich zurechtfinden muß nicht nur als Spurensucher in Sachen Spanienkrieg, sondern auch in der aufkeimenden Liebe zu Sophie, der noch Zaghaften, zu Dolores, der Erfahrenen, und zu Isabella, der Resoluten, die ihn nimmt, als sie ihn will.
Da ist zweitens der Transport der vielen Fakten und Informationen durch die Dialoge der jungen Leute mit denen, die damals dabei gewesen sind – und zwar nicht nur auf der Seite der spanischen Republik und der Interbrigaden, sondern auch bei den putschenden Franco-Truppen und der deutschen »Legion Condor«, und als es um Barcelona geht und den Mai 1937, bleiben auch der »Bürgerkrieg im Bürgerkrieg« – der Kampf zwischen Kommunisten und der anarchistischen POUM – und die verhängnisvolle Rolle Moskaus in diesem Konflikt nicht ausgespart.
Und da ist schließlich drittens die Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart, die hergestellt wird nicht nur durch die Jahresarbeit, die Felix zu schreiben hat, sondern auch durch die Schilderung der Verhältnisse, mit denen er in der Heimat fertigwerden muß. Denn das hätte er nicht erwartet: daß Georg Silbermann, der Spanienkriegsveteran, in seinem Dorf von Jugendlichen bedrängt wird – Jugendlichen, die sich in einer »Sportgruppe« zusammengetan haben, die den Namen des »Legion-Condor«-Piloten Werner Mölders trägt.
Christina Seidel und Kurt Wünsch folgen mit ihrem Buch der weithin aus der Mode gekommenen Tradition des ausdrücklichen Eingreifen-Wollens. Sie wollen eingreifen gegen das Vergessen einer wichtigen Linie der deutschen Geschichte, die da heißt: Internationalismus und antifaschistischer Widerstand, und so holen sie die Interbrigadisten zurück in die Erinnerung: namentlich Ernst Busch, Ludwig Renn und Hans Kahle und in Gestalt von »umbenannten« Romanfiguren jene, die sie für ihr Buch befragt haben: Kurt Julius Goldstein aus Deutschland, Albert Santer aus Luxemburg, Herma Schneeweiß, Hans Landauer und Ferdinand Hackl aus Österreich. Sie wollen eingreifen in den Kampf gegen den Rechtsextremismus: den latenten sowohl, der – woran uns eine viel beachtete Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung erinnert hat – in nicht wenigen Köpfen »ganz normaler« Mitmenschen schlummert, und den, der sich vor allem in ländlichen Gebieten immer offener als »Alternative« breitzumachen versucht. Und sie wollen eingreifen in das Ringen um eine Kultur der Diskussion und des bewußt beförderten Erlebens, die das Suchen der Jungen um ihren Lebensweg ernstnimmt und nicht durch »eherne Wahrheiten« blockiert.
Ob es angenommen wird, dieses Buch, durch die jungen Leute, für die es geschrieben ist? Ich glaube, die Älteren werden es gezielt verschenken müssen. Oder mal in eine Schule gehen damit. Denn den Weg in die Spitzenauslagen der Buchhandlungen wird es kaum finden können. Es ist nicht à la mode.
Christina Seidel, Kurt Wünsch: Spaniens Himmel breitet seine Sterne … oder Ein Lied kehrt zurück. Roman, Pahl-Rugenstein Verlag Bonn 2006, 206 Seiten, 14,90 Euro
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