Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 16. April 2007, Heft 8

Verluste als Gewinne

von Helmut Höge

Amerikanischer Film – das ist ein Pleonasmus,« meinte Roland Barthes. Auch Film und Wirklichkeit überlappen sich in Amerika immer mehr, weshalb Alex Gibney mit der Doku Enron – The Smartest Guys in the Room ein sehr spannender Film gelang, obwohl sich dem Regisseur die wichtigsten Zeugen als Interviewpartner verweigerten.
Enron steht für den bisher größten Finanzskandal in der US-Wirtschaftsgeschichte – der Energiekonzern war ein Symbol für die New Economy. Er brach 2001, kurz nach dem World-Trade-Center-Attentat, zusammen – und hinterließ einen Schuldenberg in Milliardenhöhe, zwanzigtausend Menschen verloren ihren Job. Sie hatten ihren Arbeitsplatz in dreißig Minuten zu räumen.
Enron profitierte weltweit von der Deregulierung. Und wenn irgendetwas nicht klappte: Wenn zum Beispiel ausgerechnet im Hightech-Staat Kalifornien der Strom ausfiel und dann unbezahlbar wurde, dann lag das daran, daß dort noch nicht genug dereguliert worden war – das behaupteten jedenfalls die Enron-Führungskräfte, die letztes Jahr zu fünf bis 24 Jahren Haft verurteilt wurden, sofern sie nicht Selbstmord begangen hatten. Auf ihrer kurzen, aber schwindelerregenden Erfolgslaufbahn hatten sie stets die beste Presse gehabt. Es war jedoch auch ein junge Journalistin, die im März 2001 den Schwindel aufdeckte. Allerdings hatten schon Jahre zuvor sechs Studenten der Cornell Business University in einer Hausarbeit über Enron nachgewiesen, daß es für Anleger besser sei, ihre Enron-Aktien schleunigst abzustoßen.
Die Geschäftsidee der Firma bestand darin, zukünftige Gewinne, zum Beispiel für das Jahr 2010, als »reale« Gewinne auszuweisen – und damit eine Superbilanz vorzulegen. Dabei hätte die Enron-Steuererklärung, die nur auf »realen« Einnahmen und nicht auf möglichen zukünftigen basierte, jeden vom Gegenteil überzeugen können: Enron zahlte so gut wie keine Steuern, weil die Firma keine Gewinne, sondern quasi nur Verluste machte.
Es war ein Spiel mit virtuellen Eventualitäten. Die Anleger, darunter die größten US-amerikanischen und deutschen Banken, glaubten jedoch fest an die Enron-Idee und investierten Milliarden. Auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft schaute nicht so genau hin, bis sie zusammen mit Enron unterging. »Was sie alle eint, ist der Wille, an die Magie des Marktes zu glauben«, wie Ronald Reagan einmal seine politischen und wirtschaftlichen Verbindungen bilanzierte.
Den Untergang des New-Economy-Flagschiffs Enron bezeichnete Alex Gibney, der Regisseur des Enron-Films, als »ein menschliches Drama von der emotionalen Größe einer griechischen Tragödie«. Ich würde jedoch eher von einer »darwinschen Tragödie« sprechen, denn die Enronkader – allen voran Konzernchef Jeffrey Skilling – hatten ihre korrupten Geschäftspraktiken mit Hinweis auf das berühmte Buch des Neodarwinisten Richard Dawkins Das egoistische Gen gleichsam evolutionistisch geadelt. Die Mitarbeiter wurden alle paar Monate evaluiert und jeweils fünfzehn Prozent von ihnen ausgesiebt, das Management veranstaltete Moto-Crossrennen durch die Wüste und motivierte sich in Stripbars – derweil die Performance der Enron-Aktie geradezu Traumkurven annahm. Lebe gefährlich! Die Ideologie lautete: »Wenn es keine Regeln und keine Regulierung gibt, wird alles gut« (Alex Gibney). Enron wurde ein echter Schurkenkonzern, in dem die maßlose persönliche Bereicherung der Geschäftsführer noch fast das harmloseste Verbrechen war. Sie brachten Millionen Menschen um ihr Gespartes, ihre Löhne und Renten. Die Banken, die mitspielten, mußten anschließend den Enron-Gläubigern Schadensersatz in Höhe von zwölf Milliarden Dollar zahlen, die Forderung belief sich auf 63 Milliarden Dollar.
Die Enron-Manager wurden bestraft, nachdem sie Konkurs angemeldet hatten. Sie haben nie ein Hehl draus gemacht, daß sie aus niedrigen und sogar »niedrigsten Motiven« handelten, im Gegenteil: Sie waren stolz darauf. Dafür wurden sie weltweit gefeiert und von Politikern hofiert. Die Strafe kam erst, als sie nicht mehr weiterwußten und ihnen keine neue, noch üblere Idee einfiel. Das war der einzige Grund, warum Skilling, der als oberster Geschäftsführer 2006 zu 24 Jahren Haft verurteilt wurde, schon einige Monate vor dem Absturz von Enron aus der Firma ausgeschieden war: Ihm war nichts mehr eingefallen! Das war das eigentliche Ende der »Geldmaschine«.

»Enron – The Smartest Guys in the Room«, Regie: Alex Gibney, USA 2005, 90 Minuten