Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 2. April 2007, Heft 7

Cadenza

von Liesel Markowski

Wieder war Monteverdi zu den Cadenza-Barocktagen in Berlins Staatsoper präsent und wieder ein Höhepunkt Alter Musik. Nach den Opern des italienischen Renaissance-Komponisten gab es nun etwas Außergewöhnliches: Marienvesper (1610) und Combattimento di Tancredi e Clorinda (1624) vereint zu faszinierendem Musiktheater, das Dirigent Rene Jacobs und Regisseur Luk Perceval in schöner Übereinstimmung geschaffen haben. Nichttheatralisches wurde bühnenwirksam gemacht, nämlich beide Werke miteinander verwoben, den Motetten des Mariengebets das Combattimento, in fünf Teile aufgespaltet, eingefügt.
Kontrastvoll wechseln die Mariengesänge mit dem Bericht des Testo (personifizierter Text) vom Kampf des Christen Tancredi mit der als Mann verkleideten – für T. daher unkenntlichen, aber von fern lange geliebten – Muslimin Clorinda, einem Madrigal nach Torquato Tassos Kreuzzug-Epos Das befreite Jerusalem. Die Phasen des Kampfes werden sich dramatisch steigernd geschildert bis zum Tod Clorindas, die sterbend von Tancredi noch getauft wird und im Himmel Einlaß findet. Darin kommt sicher auch Monteverdis katholisches Glaubensbekenntnis angesichts der Reformation nördlich der Alpen zum Ausdruck. Doch es verbindet sich in seinem Werk dem Leben durch vielerlei weltlich geprägte musikalische Strukturen. Dies berechtigte die Initiatoren, ihre Aufführung überkonfessionell anzulegen, auf konflikthaft Menschliches gerichtet. Der religiöse Erlösungsgedanke bedeutet hier Sehnsucht nach Wärme und Erfüllung durch Maria als Symbolfigur. Der Weg dahin geht nach oben.
Folgerichtig bildet die Bühne (Annette Kurz), vom Orchestergraben in fünf Etagen aufsteigend und durch schräge Laufstege unterbrochen, ein amphitheatralisches Panorama für alle Akteure. Rene Jacobs nennt es den Tempelberg zum himmlischen Jerusalem. Es ist ein Fries lebendiger Menschen. Denn die Mitwirkenden (Sänger, Musiker, Statisten) besteigen in leichter heutiger Alltagskleidung die Ränge. Jeder findet seinen, mit Notenständer versehenen Platz. Die Instrumentalisten sind in vier Gruppen auf verschiedener Höhe plaziert. Aus anfänglicher Ruhe entsteht Bewegung, Wechsel, Blickverständigung, ein Streben nach oben. Ergreifend ist der weite langsame Weg einer zarten nackten Frauengestalt in die Höhe. Clorindas Weg in den Himmel als Symbol befreiter Menschlichkeit? Die Nähe zur Gegenwart, ihren Auseinandersetzungen erschien bewegend deutlich.
All dies geschah im hinreißenden »concertare« von Monteverdis glitzernder Tonsprache in Rene Jacobs’ inspirierendem Dirigat der Akademie für Alte Musik und des Vocalconsorts Berlin, des Concerto vocale. In wunderbarer Kraft und Klangschönheit erstrahlte die Musik in ihrer raffinierten Vielfalt – etwa die Liebeslieder nach erotischen Texten aus dem biblischen Hohenlied oder die erregte rhythmische Streicherbegleitung zur Kampfschilderung des Testo, nicht weniger als das gloriose Magnificat. Kaum je war einem Monteverdi so unmittelbar nahe. Diese Aufführung, eigentlich ein Experiment, hebt sich vom heute Üblichen positiv ab: Sie läßt der Musik wie der Phantasie des Publikums Raum. Eine bedenkenswerte Brücke zur fast vierhundertjährigen Vergangenheit wurde geschlagen.