15. Jahrgang | Nummer 17 | 20. August 2012

Der (nicht nur) komische Kintopp

von F.-B. Habel

Bedeutende Komödianten aus der Zeit vor 100 Jahren kann man heute fast nur noch durch die Beschreibungen der Kritiker jener Zeit beurteilen. Beispielsweise schrieb Ignaz Wrobel in der Schaubühne Nr. 2/1914 in einem Nachruf auf den großen Josef Giampietro: „Ich sitze traurig vor dem Flügel und greife leise einen Akkord: g, b, es . . . Das waren die Anfangstöne eines albernen Schmarrens, den er im vorigen Winter auf seine Weise vertieft hatte. In den Bars wimmertens die Geigen, die Phonographen schrieens in die Welt – man sah aber nur ihn, wie er noch dastand: den Zylinder in der Hand, den Kopf vorgebeugt, die ganze Gestalt wie immer ein wenig zusammengeknickt und die Arme federnd zur Seite gestreckt. Und wenn der dumme Refrain kam, mußte man wieder an Wedekind denken, den dieser Mensch hätte spielen sollen, an unerhörte Instinkte, an die gefährliche Summe von Trieb und Intelligenz – so dämonisch holte er wuchtige Wirkungen ganz von unten herauf, er winkte mit der Hand, die Lichter erloschen, es war nicht nur auf der Bühne dunkel, er suggerierte: Nacht!“
Wenig ist bekannt, dass Giampietro einer der wenigen berühmten Schauspieler seiner Zeit war, die sich dem damals noch verpönten Film zur Verfügung stellten. Vieles davon ist verloren gegangen, weil es seinerzeit noch keine Filmarchive gab. Und doch können wir Giampietro wiedersehen, denn eine neue DVD-Edition enthält seinen Film „Der Herzensknicker oder Don Juan heiratet“ von 1909. Man kann die Beschreibung Wrobels nachvollziehen, und hat außerdem die Freude an den Interieurs der Kaiserzeit und an den Straßenaufnahmen, die die damalige Architektur wiedergeben. Das gilt auch für andere Filme mit heute weniger bekannten Schauspielern, wie dem Komiker Rudi Bach oder dem Action-Filmpaar Gerhard Dammann und Hansi Degen.
Die Filme stellte der Hamburger Filmhistoriker Hans-Michael Bock schon vor 15 Jahren für arte zusammen. Damals wurden alte Filmstreifen noch nicht so vehement digital restauriert, wie es heute üblich ist. Doch das tut dem Vergnügen an dem launig kommentierten Blick in die Vorzeit keinen Abbruch. (Die Filme weisen kaum mehr Kratzer auf, als manch „Sandmännchen“-Film im Fernsehen.)
Noch mit drei anderen noch heute bekannten  Stars wartet die Edition auf. Karl Valentin, „der Münchner mit dem doppelten Boden“, wie Peter Panter ihn nannte, einer der wichtigsten Anreger von Bertolt Brecht, war ebenfalls ein Filmpionier. Wir können ihm hier in den Filmen „Der neue Schreibtisch“ und „Karl Valentins Hochzeit“ sehen, in dem er vor genau 100 Jahren erstmals mit seiner legendären Partnerin Liesl Karlstadt auftrat.
„Durch und durch verschnörkelt ist der Mann in die Welt gesetzt“, schrieb Axel Eggebrecht 1926 in der Weltbühne über Curt Bois, „und ein melancholischer Schlemihl dazu“. Doch da hatte der 25jährige Bois schon fast 20 Jahre Filmerfahrung hinter sich. Er war der wohl erste Kinderstar der Filmgeschichte, denn nach seinem Debüt 1908 bekam er zahlreiche Hauptrollen in Groteskfilmen. „Der komische Kintopp“ zeigt ihn in „Willys Streiche“ von 1909. Aus seinem Debütfilm „Der fidele Bauer“ von 1908 existieren nur noch Szenenfotos, die der über 80jährige Komödiant in dem Film „Gedächtnis“ präsentierte, den Otto Sander und Bruno Ganz 1982 über ihn und Bernhard Minetti drehten. Der zu Unrecht wenig bekannte Film, den das Berliner Kino in der Brotfabrik im August für eine Woche ins Programm genommen hatte, bezieht seine Spannung von der unterschiedlichen Auffassung der beiden Urgesteine des damaligen Berliner Schillertheaters über den Beruf und mehr noch durch ihre politische Haltung. Während Curt Bois emigrierte und auch nach seiner Rückkehr aus seiner linken Gesinnung keinen Hehl machte, wurde Minetti Nazi-Mitläufer und lebte danach einem unpolitischen „hehren Kunstideal“. Die berühmten (damals) jungen Kollegen der Alt-Mimen bringen ihnen die nötige Achtung entgegen und zeigen an ihren Laufbahnen ein Stück Theater- und Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Der komische Kintopp, herausgegeben von Hans-Michael Bock, DVD bei absolut MEDIEN, 14,90 Euro