von Georg Seesslen
Neulich bezichtigte mich ein deutscher Bestseller-Autor, „ein Kommunist“ zu sein. Das war als Schimpfwort gedacht und sollte wohl in die Richtung kriminell Verblendeter oder verblendet Krimineller gehen.
Ich habe mir, ehrlich gesagt, seit meinen jungen Jahren keine großen Gedanken mehr darüber gemacht. Es genügte mir, den Verhältnissen, so wie sie sind, so ziemlich sehr, sehr kritisch gegenüberzustehen und mich nach Kräften für kleine und große Alternativen einzusetzen.
Wenn ein Kommunist ist, wer es nicht mag, dass Menschen ausgebeutet, entrechtet, vernachlässigt oder unterdrückt werden, und wenn ein Kommunist ist, wer dafür weder die Natur noch das Wesen des Menschen verantwortlich macht, sondern konkrete Verhältnisse, in denen Profit und Macht auf eine spezielle, extrem ungerechte Weise verteilt werden, dann bin ich eben ein Kommunist.
Aber natürlich steht ja „Kommunist“-Sein in einer Geschichte. Wenn einer hierzulande einen anderen so nennt, dann macht er ihn direkt oder indirekt mitverantwortlich für historische Verbrechen von Parteien, Regierungen, Bewegungen. Es ist, mit anderen Worten, ein Totschlagwort.
Wenn Kommunismus bedeutet, einer Partei anzugehören, die behauptet, immer recht zu haben, wenn es bedeutet, sich einer großen Idee zu unterwerfen, die sich als wissenschaftliche Weltanschauung sieht und ansonsten keinen Spaß versteht, wenn es bedeutet, die Geschäfte ausgerechnet in die Hände einer Staatsbürokratie mit Polizei, Geheimdienst und despotischen Vorsitzenden zu legen, und wenn es bedeutet, dass dieser Staat seinen Bürgern im Austausch für eine Grundversorgung die persönliche Freiheit nimmt – nö, dann will ich lieber kein Kommunist sein.
Das Kommunist-Sein hat jedoch viel weniger mit politischer Entscheidung oder mit intellektueller Selbstermächtigung zu tun als mit den Zuschreibungen, die der Mainstream nun mal so vornimmt. Es ist längst jenseits größerer Gedankengebäude und Gesellschaftsmodelle eine Methode zur Konstruktion von Dissidenz.
Wer nicht glaubt, dass der Kapitalismus, sei es in seiner brutalen derzeitigen, sei es in einer vielleicht noch mal abgemilderten Form, der letztmögliche und endgültige Weg des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens ist, der ist ein Kommunist. Wer nicht glaubt, dass der Staat das letztmögliche und endgültige Modell von Ordnung und Recht ist, wer den Staat als zweitgrößtes Übel des Mensch- und Gesellschaft-Seins ansieht, der ist ein Anarchist. Ich bin also, klarer Fall, ein kommunistischer Anarchist.
Ärgerlich nur, dass nicht nur der besagte Bestsellerautor meinen Anarchismus geflissentlich übersehen hat, ärgerlich noch mehr ist, dass der Mainstream dieser Tage damit durchkommt, jede Form von Dissidenz als Retrophänomen zu behandeln. Wen man einen Kommunisten schimpfen darf, der will ja wohl nicht vorwärts in der Geschichte, sondern zurück zu alten Ideen und Praxen. Dabei interessiert es doch in Wahrheit einen Scheiß, ob früher einmal alles andere als der demokratische Kapitalismus noch schlimmer war.
Es interessiert, was kommen wird, wenn der Staat und der Markt als Ordnungsinstrumente ausgedient haben. Es interessiert, um schon wieder so ein kommunistisches Wort zu verwenden, ob die Menschen noch mal schaffen, Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu werden. Es interessiert, ob es überhaupt eine Zukunft gibt. Kommunisten sind Leute, die sich für gemeinschaftliche, selbstorganisierte und unentfremdete Problemlösungen interessieren.
Wenn nun aber Kommunist wäre, wer sich der überraschenden Erkenntnis öffnet, dass Karl Marx gar nicht mal so unrecht hatte, dass all diese sonderbaren Dinge – Lohn, Preis und Profit, Entfremdung, Krisenzyklen, militärisch-industrieller Komplex und so weiter – auf Dauer nicht das Überleben der Menschheit sichern, dass die ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft auch schuld an ihrem moralischen und kulturellen Desaster sind, dann, tja, dann wäre wohl eine gute Hälfte der denkenden Deutschen Kommunisten, die halbe FAZ-Redaktion eingeschlossen.
Hinzu kommt: Der Kommunismus wird gerade in den Kapitalismus integriert. Die neue Verbindung von Postdemokratie und Neoliberalismus trägt Züge eines auf den Kopf gestellten Staatssozialismus. Keine Freiheit, nirgends, außer beim Kaufen und/oder Zugrundegehen. Wirtschaft und Staat im postdemokratischen Neoliberalismus haben eine absolute Macht, es scheint unmöglich, über sie hinaus, oder wenigstens unter ihr hindurch zu denken.
Was soll da noch ein Wort wie „Kommunist“? Wenn sich in wunderlicher Konvergenz der maoistisch-„kommunistische“ Staatskapitalismus, der merkelistisch-expansive Nationalkapitalismus und der lupenreine postkommunistische Putinismus immer mehr annähern? Im globalen Zirkus der Bilder und Ideen wäre man als „Kommunist“ nicht wirklich in guter Gesellschaft.
Von der Falle, die Liberalkonservative gern aufmachen, wenn sie es mit Dissidenten zu tun haben, will ich gar nicht groß reden. Kritisieren darf nur, wer ein Gegenmodell parat hat, wer aber ein Gegenmodell parat hat, ist ein Kommunist und darf nicht mehr kritisieren. Bin ich also Kommunist? Wahrscheinlich würde man eher neue Begriffe benötigen.
Die Zuschreibung hingegen geschieht definitiv in böser Absicht. Aber es ist wie mit Nigger, Bitch, schwul oder punk: Aus der Ausgrenzung und Abwertung entsteht ein neuer Stolz. Unsereiner steht quer zur Macht, das ist unser Job, das ist unsere Passion, das ist unser merkwürdiges Talent.
Wen man hierzulande als „Kommunisten“ beschimpft, der würde in einem „kommunistischen Staat“ wahlweise als „bürgerlicher Individualist“, „dekadent“ oder „Konterrevolutionär“ drangsaliert. Es kommt daher nicht darauf an, ob man in einem historischen, ideologischen und diskursiven Sinn „Kommunist“ ist. Es kommt darauf an, stolz darauf zu sein, wenn man vom Mainstream so genannt wird.
Aus: taz, 14. März 2012. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der taz – die tageszeitung.
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