13. Jahrgang | Nummer 8 | 26. April 2010

Nachrichten aus der Debattiermaschine III

von Eckhard Mieder

Ich weiß ja, meine Sicht auf die Dinge ist naiv, aber … wenn ich Sarah Wagenknecht wäre, dann wäre ich stolz auf mich. Und zwar ganz doll. Obwohl, ein bißchen Sarah ist in mir, ich kann mich nur nicht so gut ausdrücken wie meine Schöne. Oder ich kann die Sarah in mir nicht so richtig rausdrücken. Mir bleibt das Loblied auf die richtige Sarah, die ich erst neulich wieder sah in einer Reportage des WDR. Und ich bin jetzt kein bißchen ironisch. Jedenfalls nicht zu ihr, zu mir schon.

Ich dachte, als ich die Sarah da sah, wie sie in einer Fußgängerzone stand, oder wie sie sich fast reinschlich (um nicht zu stören) in eine Basisversammlung der Linken in Düsseldorf -, da dachte ich, meine Fresse, wenn du (also ich) sowieso kein Talent zum Politiker hast, spätestens vor diesen Alltagsaufgaben würdest du passen. Irgendwelchen Passanten in der Einkaufsmeile von Pullerstadt-Helmhausen Papier und Argumente unter die Nase zu halten oder ins Ohr zu blasen, nee. Die schlendern da lang, konsumieren, und du willst debattieren, argumentieren, revolutionieren, nee, nee, nee.

Und dann zieht die Mutti den Vati auch noch weiter, weiter weg, weit weg von dieser Reinkarnation der Luxemburg, die es mit den Männern nicht so genau genommen haben soll. Beziehungsweise hat sie sich die Kerle genommen. Soweit vorhanden. Waren ja viele im Krieg, sie selber im Gefängnis. Außerdem: wie viele Männer und wen, weiß auch niemand so genau. Jedenfalls niemand von denen, die nicht über sie forschen. Und ob von denen, die über sie forschen, allzu viel mehr gewußt wird, bezweifle ich auch.

Aber Sarah, davon bin ich überzeugt, ist ein treues Weib. Und die allerjüngste ist sie auch nicht mehr. Zudem hat mir die Debattiermaschine neulich erzählt, daß sie das mit den Jungen frühzeitig erledigt hatte, aus Neugier probiert, und sich dann gesagt: Viel dran ist nicht an diesem zoon politicon, gesellschaftlich und geschlechtlich gesehen. Allerdings haben wir nicht viel Wahl. Entweder Mann oder Frau oder beides. (Ich klammere mal Tiere und anderes aus.) Was das betrifft, gibt es keine Wahllokale und keine Demokratie. Ich kann mir vorstellen, daß es spannender ist, den „Faust“ auswendig zu lernen als sich von speichelnden Knaben bedrängen zu lassen.

Aber Sarah wird nicht alles kucken lassen. Sie weiß, eine Frau muß ein Geheimnis haben. Ein Geheimnis macht schön. Mona Lisa, Nofretete, manche Madonnen – du weißt nicht, wohin kucken sie, wenn sie dich ankucken. Oder wenn sie ihre Augen verdrehen, dem Himmel zu, und Mutterglück spielt mit dem Frauenglück Hasche in den Mundwinkeln. Wen lächeln sie an, wenn sie dich anlächeln. Und warum sie lächeln oder streng blicken. Manche Frauen sind schlicht nur kurzsichtig oder kriegen diesen strafenden Gesichtsausdruck, weil sie – konzentriert sind. Da ist kein Rätsel, Herrschaften, stillgestanden und weitermachen!

Und immer muß Sarah die Contenance wahren. Selbst dem chauvinistischsten Löffel und Imperialistenknecht in der Talkshow das Ohr leihen, sozusagen. Nicht aufstehen zu können, ein paar Schritte zu machen und dem eine pfeffern. Wie es Beate Klarsfeld seinerzeit machte. Oder mit dem Farbbeutel zu schmeißen, von Messern, Kugeln, Bomben nicht zu reden. Denn darauf haben wir uns alle geeinigt: Keine Gewalt. Da kann noch so viel Gewalt herrschen, wir singen Keine Gewalt. Die bringt ja auch nichts, außer Tote, Verletzte, Ängste, Kontrolle.

Nun lassen sich Ohrfeige, Farbbeutel und Maschinenpistolensalve natürlich nicht vergleichen. Jegliches hat keine Zeit. Man weiß einfach nicht, wann was dran ist. Insofern sind wir alle Schüler des Lebens, das uns ja auch nicht sagt, wann das Auto streikt, wann einem gekündigt wird, wann eine Sonderkommission plötzlich die Tür eintritt, weil sie Meyer mit Meier verwechselt hat und Düsseldorf mit Dülmden. Keine Gewalt ist meiner Ansicht nach keine gute Forderung. Es müßte differenziert werden. Es sollte heißen Keine Gewalt, nur welche nicht…. ”

Sarah sitzt ungerührt, nur manchmal ein schmales, sehr schmales Lächeln. Wenn sie denn doch ein fieser verbaler Dolchstoß gewissermaßen unter die politische Gürtellinie trifft. Die politische Gürtellinie aber ist ihr immer eine Argumenten-Kette. Sie will argumentieren, sie kann argumentieren, es ist nicht ihr Makel, daß die anderen in der Show lieber salbadern, schwadronieren, Sackgesichter ziehen. Während sie, straff im Kostüm und straff die Frisur, die Augenbrauen messerscharf, eine Sphinx ist, die gar keine ist. Nebbich spricht sie klar und deutlich und konzentriert.

Dann denke ich, Mannomann, mußt du dich zusammenreißen. Schon das allein rechtfertigt die Diäten. Make-up, Kopierpapier, Kleidung kommen dazu, Zweitwohnung da, wo der Wahlkreis einen umschließt … Ich denke, das Leben einer Bundestagsabgeordneten ist teurer als das eines Bundestagabgeordneten. Vielleicht ist die Eitelkeit nicht allzu ungleich verteilt. Und auftreten wie weiland der grüne Eintänzer in Turnschuhen und in Jeans, damals im Hessischen Landtag –, wer will diese Figuren sehen, noch dazu wenn sie zwischen Siebzig und hundertdreißig Kilo schwanken und das Changieren als Lauf zu sich selber poetisieren.

Wer braucht diese Pappnasen, denen das Reden von gestern morgen ein Geschwätz ist, und übermorgen brausen sie auf Gokarts durch das Walhalla der nachträglich zurecht gerückten Vergangenheit? Die Demokratie braucht sie. Die Debattiermaschine braucht sie. Wahrscheinlich brauchen wir alle diese Kette rauchenden, ihr Übergewicht an historischer Bedeutung in Rollstühlen transportierenden -, diese im Nachhinein zu milden Staatsmännern gestylten Kriegsgewinnler, diese Restaurations-Ritter -, diese Luftballonhelden, auf die das Konfetti regnet und die schon immer gesagt haben, schon bevor sie geboren wurden, daß ihnen niemand den Schneid abkaufen kann, schon gar nicht dieses Gebilde namens Realität …

Wozu sich aufregen? Schau dir Sarah an. Ist sie nicht ein klares Wasserfleckchen in der trüben Brühe? Ist sie nicht ein Inselchen aus Fakten inmitten des schäumenden Phrasengebräus? Was aus ihr wird, wer weiß es. Wer sie ist, wer weiß es. Jetzt sitzt sie unter uns und sagt: Jetzt erst recht, ihr Bastarde! Und schaut höflich und bestimmt in die Runde.

Ich kann sie gut leiden. Aber ich weiß ja, daß meine Sicht auf die Dinge reichlich naiv ist.