Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 22. Dezember 2008, Heft 26

Wirtschaft als Sport

von Helmut Höge

Jetzt wissen wir, woher dieser unausrottbare Blödsinn in den Kapitalmedien kommt, auf die Wirtschaftsseiten stets die Sportseiten folgen zu lassen: Er stammt vom »Vater der Sozialen Marktwirtschaft« Ludwig Erhard. Die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«, eine hochkarätige Proseccorunde mit quasi eigenem »Bundespressestrand« an der Spree, hat gerade in einer Anzeige noch mal daran erinnert – mit einem ihrer Lieblingssprüche:
»In der Marktwirtschaft wie im Fußball sind feste Regeln die Voraussetzung für ein faires Spiel.«
So richtig los ging es damit allerdings erst in den achtziger Jahren – mit der Verlagerung der Produktion nach China und dem Kreieren von immer neuen Finanzprodukten auf der anderen Seite – in den USA, wo dafür bald nur noch konsumiert wurde – ökonomisch gesprochen. Im hin- und hergerissenen Deutschland wurde daraufhin in den schicken Wohnbezirken das Spiel an der deregulierten Börse populär und in den verelendenden Vierteln das Spiel in den deregulierten Sport-Wett-Läden.
So lassen sich zum Beispiel die ersteren auf den 2007 an den deutschen Börsen entwickelten »Short Dax« ein, das heißt, auf den Leerverkauf der Aktien (dabei leiht man sich Aktien aus, die man gar nicht besitzt, und verkauft sie in der Hoffnung, sie später zu einem billigeren Preis zurückkaufen zu können) … Man wettet also auf den Kursverfall. Während die anderen zum Beispiel auf den Sieg von Manchester United gegen Schalke wetten. Die taz-Autorin Lilli Brand war nacheinander mit zwei solchen Sportwett-Irren, einem Türken und einem Araber, befreundet: Zuletzt liefen sie nur noch von einem Wettbüro zum anderen und liehen sich unterwegs zwanzig Euro von irgend jemandem. »So beschäftigt und gehetzt war ich in meinem Leben noch nicht,« meinte Lilli Brand, als alles vorbei war. Der Feuilletonchef der Frankfurter Rundschau, Harry Nutt, gab früher eine Traber-Zeitung heraus, und noch heute beteiligt er sich gerne an Pferdewetten. Er hält Sportwetten für ein reines Glücksspiel, nicht jedoch die Pferdewetten: »Wenn man Ahnung von den Pferden, Jockeys und Rennställen hat, hat man eine gute Chance.«
Die Börsen-Wetter vertiefen sich ähnlich in das Wirtschaftsgeschehen oder jedenfalls in das, was sie dafür halten. Einige nennen sich sogar »Experten«, unter Bankstern spricht man dabei auch von »Analysten« oder sogar »Topanalysten«. Das ist die sozusagen amerikanische Highschool-Harvard-Version des – marxistischen – »Analytikers«, der jedoch höchstens eine Wette über die Richtigkeit seiner Analyse des Wertbegriffs beziehungsweise des tendenziellen Falls der Profitrate in bezug auf die nächste Krise eingeht. Ähnliches machen allerdings auch die »Analysten« der Bankster, indem sie in einer Krise noch jedesmal gesagt haben: »Das habe ich schon vor Jahren vorausgesehen.« Dennoch haben sie weiter alle Kunden tapfer überredet, ihr Geld auf dieses oder jenes Finanzprodukt zu setzen, das aber nun leider »verbrannt« ist.
Aber schon preist zum Beispiel der Analyst Philipp Mattheis in der Süddeutschen Zeitung zwei neue Produkte an, die insbesondere für »Short-Spekulationen« interessant geworden seien, gerade in dieser Krise: »Reverse-Discount- und Reverse-Bonus-Zertifikate«. Ähnlich legen sich auch die Sport-Analysten ins Zeug, nur daß es bei ihnen noch dämlicher – unterkomplexer – zugeht. Einer wirbt zum Beispiel im Internet mit dem Satz: »Wie kann ich mein Sportwissen zu wahrem Geld machen und so meine finanziellen Sorgen für immer vergessen?«
Für den 25. November empfahl er drei Spiele, »wo einfach jeder Sportfan drauf wetten muß: Arsenal FC – Dynamo Kiel / FC Bayern München – Steaua Bucuresti / Fenerbahce – FC Porto«.