Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 8. Dezember 2008, Heft 25

KZ Warschau

von Gerd Kaiser

Am 10. Juni 1944 berichtete der Amtsgruppenchef C im SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Dr. Ing. Kammler »über den Stand der Arbeiten im Sperrgebiet Warschau«. Bei dem Abbruch und der Sprengung von zirka zehn Millionen Kubikmetern umbauten Raumes handelte es sich um die fortgesetzte Zerstörung des von der deutschen Besatzungsmacht 1940 eingerichteten und im Zuge der Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes 1943 systematisch und bis auf die Grundmauern zerstörten Warschauer Stadtteils. Kammler listete auf: 805 Tonnen Metalle (Kupfer, Messing, Bleischrott) seien zusammengetragen, 1300 Tonnen Nutzeisen gelagert und weitere 6004 Tonnen Schrotteisen teils gelagert, teils der Verhüttung zugeführt worden. Für diese Arbeiten wurden Häftlinge und 2845 polnische Zwangsarbeiter eingesetzt.
Weiterhin meldete Kammler: »Das KL ist nunmehr bezugsfertig und wird in Kürze voll belegt.« Damit wurde Warschau die einzige Hauptstadt Europas, in der die SS ein Konzentrationslager errichtet hatte. In ihm wurden einige hundert jüdische Häftlinge und im ehemaligen, jetzt dem Konzentrationslager zugeschlagenen »Arbeits-Erziehungs-Lager« der Gestapo (AEL) einige tausend polnische Zwangsarbeiter ausgebeutet. Das KZ befand sich in Gebäuden, in die während der Ghettozeit jüdische Männer, Frauen und Jugendliche eingewiesen worden waren. Das AEL war im Herbst 1943 aufgelöst und die Gefangenen vor allem Unternehmen und der Organisation Todt (OT) »zur Verfügung gestellt« worden.
Die ursprüngliche Anlage wurde nach der Ermordung der Ghettoinsassen erweitert. Luftaufnahmen ermöglichen es, die Lage und Veränderungen des KZ Warschau und dessen Vorläufer in der »Gesiowka« genau zu bestimmen. Die jüdischen wie die polnischen Häftlinge hatten durch die hohen Arbeitsnormen beim Abbruch des ehemaligen Ghettos und die scharfen Haftbedingungen sowie durch ungenügende Ernährung und Krankheiten hohe Verluste. Zwischen Sommer 1943 und Sommer 1944 wurden im Krematorium auf dem Ghettogelände etwa 20000 Leichname eingeäschert. Die Zahl der Toten, die auf dem weitläufigen Ghettogelände ebenfalls von jüdischen und polnischen Häftlingen auf Holzstößen verbrannt werden mußten, läßt sich nicht mehr feststellen. Zu diesen Toten gehörten auch diejenigen, die im Rahmen der sogenannten Aktion 1005 aus Massengräbern geborgen und im Freien verbrannt wurden, um Spuren der massenhaften Verbrechen an den Ghettobewohnern an Ort und Stelle zu verwischen. Darüber hinaus erschossen die deutschen Besatzer Warschaus im »Sperrgebiet« des ehemaligen Ghettos oftmals Häftlinge beziehungsweise Häftlingsgruppen des unweit gelegenen Gefängnisses Pawiak beziehungsweise des Gestapogefängnisses in der Szuch-Allee. Schließlich fanden hier im August 1944 Massenerschießungen von Einwohnern des Stadtbezirks Wola statt.
Während des Warschauer Aufstandes im Herbst 1944 befreiten die Aufständischen des Bataillons »Zoska« einige hundert überlebende jüdische Häftlinge, die im Auftrage Kammlers zumeist aus Ungarn hierher verbracht worden waren. Damit war der Existenz des KZ Warschau ein Ende bereitet.
Nach der Befreiung Warschaus war die Adresse für die Gebäude des ehemaligen KL Warschau ul. Mordechaja Anielewicza 26; an einem Ort, der zu Ehren des toten Anführers des Ghettoaufstandes von 1943 benannt worden war. Ein Gedenkstein auf dem Gelände des Führungsbunkers der Aufständischen in der unweit verlaufenden Mila-Straße, in dem Mordechaj Anielewicz 1943 den Tod fand, ist jetzt vom Neubau eines elfstöckigen Appartement-Hochhauses bedroht. Dessen Einfahrt in Tiefgarage und Müllhaus befindet sich nach den Plänen der Bauherren elf Meter vom Gedenkstein entfernt.