von Holger Politt, Warschau
Nachdem Lech Kaczynski zusammen mit Ehefrau Maria in Kraków auf dem Wawel beigesetzt wurde, ging in Polen eine 9-tägige Staatstrauer zu Ende. 21 Kanonenschüsse ihm zu Ehren signalisierten das Ende der Trauerzeit. Und die hatte es in sich, denn Presse, Funk und Fernsehen verzichteten diese langen Tage hindurch auf jegliche Werbung, also auf das, wovon sie im großen Maße oder ausschließlich abhängen. Auch der Fußball verzichtete ganz und gar auf Liga und Punkte. Zuvor gab es so etwas schon einmal, vor fast genau fünf Jahren, als Johann Paul II. starb und das Land in 7 Tage tiefer Staatstrauer versank.
Neben dem Geschäft wurde auch die Politik weitgehend eingestellt oder drastisch zurückgefahren. Da die Flugkatastrophe in erster Linie die politische Welt des Landes traf, werden die Auswirkungen beträchtlich sein. Solange getrauert wurde, hielten viele still. Lediglich aus der Passagierliste der Unglücksmaschine konnte abgelesen werden, wie es um die einzelnen Gruppierungen nun steht. Deutlich wurde schnell, daß vor allem die beiden Oppositionsparteien im Parlament, die nationalkonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit) und die sozialdemokratische SLD (Demokratische Linksallianz) betroffen sind. Beide verloren, was die Dramatik nur zu gut unterstreicht, die bereits feststehenden Kandidaten für die turnusmäßig auf den Herbst festgelegten Präsidentschaftswahlen – PiS den Amtsinhaber und die SLD mit Jerzy Szmajdzinski einen seiner Herausforderer.
Der Tod Lech Kaczynskis brachte zwingend die Verfassung ins Spiel, die erstens mit dem Sejm-Marschall Bronislaw Komorowski den Vertreter der Regierungspartei PO (Bürgerplattform) bis zur Neuwahl in das höchste Staatsamt trug, und zweitens einen Wahltermin bis Ende Juni vorschreibt. Eine kurze Zeitspanne für diejenigen, die neue Kandidaten und damit neue Konzeptionen finden müssen. Und nun schafft es der tragische Zufall, daß die PO mit Komorowski sowohl ihren zuvor gekürten Kandidaten behalten kann und diesen plötzlich in der vorteilhaften Position des Amtsinhabers haben wird. Ein nicht zu verachtender Vorteil, einzig die öffentliche Meinung könnte die Suppe wohl noch versalzen. Stimmen, Komorowski hätte der Chancengleichheit wegen besser auf seine Kandidatur verzichten sollen, sind einstweilen nicht zu überhören. Viel wird vom taktischen Geschick des Ministerpräsidenten Donald Tusk abhängen, von seinem Gespür für das Gewicht von Stimmungsschwankungen im öffentlichen Meinungsbild. Da er selbst frühzeitig auf die Kandidatur verzichtete, ist sein Spielraum in dieser Frage jedoch auch nicht allzugroß. Zu gerne möchte er den kommenden Präsidenten fest hinter sich wissen.
Während die SLD einen neuen Kandidaten auf den kurzen Wahlkampf vorbereiten muß, was schwer genug ist, steht PiS vor der Notwendigkeit, vollkommen umzudenken. Bisher orientierte man ausschließlich auf die Verteidigung, nicht die Eroberung des hohen Amtes. Der Präsidentenstuhl sollte gehalten werden als wichtige Bastion in der generellen Auseinandersetzung mit der weit davon gezogenen Konkurrentin PO. Jetzt steht man mit dem Rücken zur Wand, denn formal ist das Amt in der Hand der Konkurrentin, man selbst ist zum Herausforderer geworden, mit allen bitteren Konsequenzen. Und niemand weiß, wie lange die derzeit höheren Sympathiewerte für PiS anhalten werden, ob sie gar den Kampf um den Präsidentenpalast entscheidend beeinflussen könnten. Und niemand weiß, ob die öffentliche Wertschätzung, die den tragisch ums Leben gekommenen Lech Kaczynski am 18. April in den Wawel hinauftrug, im Juni an den Wahlurnen noch Gewicht haben wird. Sollte Zwillingsbruder Jarosław, der PiS-Vorsitzende, die Herausforderung annehmen, wird er einen Sieg für möglich halten. Ihm müßte gelingen, den allgemeinen Trend, der PiS bisher weit hinter der PO sah, umzukehren.
Also wird das Land höchstwahrscheinlich noch einmal im Zeichen des zugespitzten Kampfes zwischen PiS und PO stehen, denn allen anderen möglichen Kandidaten werden bereits heute kaum Chancen auf das Erreichen der Stichwahl eingeräumt. Sollte PiS die Schlacht verlieren, verbliebe der Partei nicht viel Zeit, um bis zu den Parlamentswahlen 2011 die Reihen nach dem dramatischen Aderlaß neu aufzustellen. Einen Präsidentenpalast nebst personalstarker Kanzlei hätte sie dann nicht mehr.
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