Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 29. September 2008, Heft 20

Geschichte und Politik

von Krzysztof Pilawski, Warschau

Im nächsten Jahr gedenken wir in Polen des 70. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs und des 20. Jahrestages des Falls der Volksrepublik. Geschichte wird erneut an der Spitze der Nachrichtensendungen, auf den ersten Zeitungsseiten und unter den wichtigsten politischen Debatten zu finden sein. In seinem Regierungsexposé teilte Donald Tusk am 27. November vorigen Jahres mit: »2009 sollte, ja müßte eigentlich die ganze Welt in Polen zweier bedeutsamer Jahrestage gedenken: des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs und des Sturzes des Kommunismus.«
Hochrangige Regierungsvertreter teilten bereits mit, daß die entsprechenden Gedenkfeiern auf internationalem Niveau stattfinden werden. Ministerpräsident Tusk – so wird bereits mitgeteilt – werde sich an die Spitze des Organisationskomitees stellen, was davon zeugt, daß er den Fehdehandschuh, den ihm Staatspräsident Lech Kaczynski auf dem Gebiet der historischen Politik zugeschmissen hat, annimmt.
Zum Durchbruch bei der Umsetzung einer politisierten Geschichtskonzeption geriet 2004 die Eröffnung des Museums des Warschauer Aufstands, die sich Lech Kaczynski – damals Warschaus Stadtpräsident – zuschreibt. Diese Erinnerungsstätte realisiert die von Carl Schmitt überkommenen Ideen zur historischen Politik in moderner Gestalt, denn fast nichts erinnert mehr an ein traditionelles Museum.
Von Anfang an diente das Museum dazu, dem Bild der Helden, der Warschauer Aufständischen, das Bild der Feinde, der Deutschen und der Roten Armee, des Nationalsozialismus und des Kommunismus, entgegenzusetzen. Der Warschauer Aufstand ist unterdessen ein Element der »politischen Theologie«, denn der mit dem Blut von über 200000 Menschen bezahlte Opfergang der Warschauer habe im Jahre 1980 seine Auferstehung erlebt – mit dem Solidarnosc-Aufbruch. Ohne den Aufstand, so die versteckte Botschaft, wäre es den Polen nicht gelungen, viele Jahre später das Joch des Kommunismus abzuwerfen. Keine Frage, daß die Verfechter der Kaczynski-Linie das Museum als bisher einzigen gültigen institutionaliserten Ausdruck historischer Politik in Polen werten.
Was für die rechtskonservative PiS das Museum des Warschauer Aufstands ist, soll für die rechtsliberale PO das Museum des Zweiten Weltkriegs werden. Es habe alles mit dem Überfall auf Polen begonnen. Da die Polen sich als erste der Hitlerarmee bewaffnet entgegenstellten, hätten sie somit den Kampf um die Befreiung des Kontinents vom Totalitarismus eröffnet. Fortgesetzt worden sei dieser Kampf in unterschiedlichen Formen bis 1989. Es habe in Danzig begonnen und sei in Gdansk, der Wiege der Solidarnosc, beendet worden. Darüber sprach Premier Tusk im Dezember vorigen Jahres übrigens auch auf den Seiten der FAZ. Ihm zur Seite stehen mit Wladyslaw Bartoszewski und Lech Wale˛sa international geschätzte und weithin unumstrittene Persönlichkeiten. Kein Zufall also, daß beide Persönlichkeiten in den letzten Monaten bei sich bietender Gelegenheit zu Zielscheiben von PiS-Angriffen wurden.
Es steht fest, daß im Falle der Verwirklichung der PO-Absichten die Hegemonie der rechten Parteien in Polen verfestigt wird. Die Linke hat in Sachen Vergangenheit wenig, was plausibel in den Kontext von historischer Politik gestellt werden könnte, anzubieten. Das hat zwar durchaus einen Vorzug, der sich aber in der heutigen Konstellation als Nachteil erweist. Denn obwohl die Linke kein Museum der Volksrepublik bauen oder Denkmäler für Gomul⁄ka und Gierek aufstellen sollte, hat sie andererseits auch keinen Grund, einem Abschnitt der Geschichte den Rücken verschämt zuzukehren, der Millionen Bürgern gesellschaftliches Fortkommen ermöglichte, der eine Landreform auf den Weg brachte, der durch die Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze in der Industrie die Geißel der Arbeitslosigkeit beseitigte – einem Zeitabschnitt, in dem Gesundheitswesen, Bildungswesen oder etwa der Zugang zu Kulturgütern vom jeweiligen Geldbeutel unabhängiger gemacht wurden.
Selbst Anfang des 21. Jahrhunderts überwiegt in Meinungsumfragen über die Volksrepublik die positive Tendenz. Zwar sind die meisten derjenigen, die der Volksrepublik kein schlechtes Zeugnis ausstellen, Menschen höheren Alters; aber die Werte, die sie präferieren, sind durchaus auch für Jüngere attraktiv: die solidarische Ausrichtung grundsätzlicher gesellschaftlicher Beziehungen, soziale Gerechtigkeit, der Rechtsschutz für arbeitende Menschen, das Recht auf Bildung und Gesundheitsfürsorge für alle. Ob die Linke den Weg findet, diese Werte im demokratischen System unumkehrbar zu verankern, bleibt eine der spannenden Fragen der nächsten Zeit.

Aus dem Polnischen: Holger Politt