Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 15. September 2008, Heft 19

Ich, der Kalte Krieger

von Max Hagebök

Es kuschelt sich so schön in meinem Reihenhaus am Rande der großen Stadt. Verträumt liegt morgens der Dunst über den Feldern, und die Maikatzen streifen durch das feuchte Gras. Gemächlich schreiten die Stuten mit ihren Fohlen über die Weide. Herzzerreißend schön beginnt wieder ein Tag in meinem neuen Leben. Diesmal im richtigen. Sagen viele, die es gut mit mir meinen. Denn mein Leben davor, also das falsche, hatte ich nach dem 3. Oktober 1990 irgendwann abgelegt.
An dieser Stelle sei vorweggeschickt, daß die Geschichte eine böse Wendung nimmt. Dies für alle, die vom Ankommen im Heute reden und daran verdienen. Sowohl am Reden als auch am Dienen. Die sollten jetzt weiterblättern.
Ich fühlte mich an diesem Morgen, wie an vielen anderen, angekommen in dieser wunderbaren Republik. Der Dallmayr prodomo ergötzte meinen Gaumen und weckte geahnte Lebensgeister.
Hätte er es lieber gelassen.
Denn der Fernseher zeigte mir das gramzerfurchte Bild meiner und somit aller Kanzlerin. Sie, die ewig gemeinsam handelnde, arbeitete sich ganz allein am Georgienkrieg ab. Mir schwirrten die Worte um die Ohren. Georgisches Kernland, russische Aggression, Südossetien, Nato, Sicherheit, Raketenschild, Polen, Amerika und so weiter.
Ich ließ die Worte nicht in mein Ohr. Man weiß ja nie, wie man sie wieder rausbekommt. Kaum einmal im Ohr, sofort im Gehirn. Und dann ist Schluß mit lustig. Irgendwo bleibt das Wort liegen, und dann?
Einzelne Worte verbinden sich gern zu Sätzen. Wenn man Pech hat, steckt darin ein Gedanke. Und die nächste Steigerung läßt nicht lange auf sich warten. Die Gedanken mutieren zu Gefühlen. Damit ist ein parasitäres Gebilde geboren, das sich an der Wirklichkeit speist. Gelegentlich springt es aus dem Versteck und verläßt mündig den Kopf. Keiner kann es kontrollieren. Und so ein Kontrollverlust kann zu ungeahnten Niederlagen führen. Danke schön auch.
Deshalb bewache ich meinen Gehörgang. Hätte ich vielleicht schon in meinem falschen Leben machen sollen. Doch damals wollte ich glauben. Später begann ich zu wissen. Als ich mein höchsten Level erreicht hatte, war mein altes falsches Leben verschwunden.. Daraus habe ich gelernt. Will also sagen, Ohren zu und durch. Die Augen schön offenlassen, denn man will ja wissen, wo das Schiff hinsteuert. So gelingt es, als erster bei den Rettungsbooten zu sein.
Mit diesen Weisheiten bin ich genauso gut wie ein geborener Bundesbürger. Es besteht sozusagen Waffengleichheit.
Doch die Merkel hat es mir versaut. Mit ihrem Augenaufschlag klagte sie den Russen an. Macht wolle er, und Öl wolle er, und überhaupt. Der Russe macht die schöne alte Welt kaputt. Jetzt macht er schon teureren Urlaub als der deutsche Arbeitsmann. In diesem Moment hatte ich einen Kontrollverlust über die Windungen in meinem Schädel. Rational war mir natürlich klar, daß unsere russischen Freunde bei weitem nicht so edel sind, wie ich es immer glaubte. Die Wende hatte mir die Augen geöffnet. Doch in diesem Moment, an diesem merkelschen Morgen, brach mein klassenkämpferisches Gemüt durch.
Die Russen sind im Recht. Im gefühlten historischen Recht. Geht nicht anders, da die amerikanischen Freunde der Merkel nicht recht haben können. In einer diffusen Mischung aus spritfressendem Dienstwagen, LCD-Fernseher, HD-tauglichen Bildern von ausgetrockneten Flüssen, hungernden Kindern und irakischen Leichen, in diesem Brei von Bildern und Emotionen gebar ich mein altes Leben. Ich war wieder in meiner bipolaren Welt. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Beschämt wurde mir klar, daß der materielle Reichtum meines Ankommens meinen proletarischen Instinkt hatte verkümmern lassen. Sei auf der Wacht, Revolutionär.
Natürlich hielt dieser Zustand nicht lange an. Für einen wirklichen Menschenfreund ist in dieser Welt kein Staat zuständig. Humanisten sind staatenlos.
Die Merkel lag mit dem jammervollen Worten von der russischen Gefahr richtig. Das Brüderchen in Moskau kennt seine Pappenheimer. Nur will Moskau niemals mehr eine Weltrevolution. Das ist den neuen Oligarchen zu anstrengend und zu gefährlich. Früher ließen sie das Volk bluten und wurden reich. Heute lassen sie das Öl sprudeln. Der Vorteil ist, sie brauchen das Volk nicht mehr zu hofieren. Aber bei einer Revolution würde das Volk ihnen den Reichtum und damit Macht entreißen. Deshalb ist auch die russische Demokratie der verwunschene Bruder der Diktatur.
Deshalb ist mein ausgebrochener Instinkt vom russischen Rechthaben von trauriger Gestalt. Ich schäme mich. Denn ich weiß es besser. Den Mächtigen ist jedes Mittel recht, nur schön bemäntelt muß es sein. Dann kann es sich nach dem jeweiligen Wind drehen und bleibt modern. So ist dann die moderne Politik das gewendete Mäntelchen der früheren Jahrhunderte.
Das Telefon klingelt. Meine Sekretärin.