von Franz Josef Strauß
Die Gespräche im NATO-Hauptquartier in Paris sind in kurzen Abständen wiederholt und fortgesetzt worden. Eines Tages kam Foertsch (stellvertretender Planungschef im NATO-Hauptquartier – d. Red.) zu mir – es muß nach der Auseinandersetzung mit den Engländern gewesen sein, bei der sich die Franzosen im übrigen ziemlich zurückhaltend gaben –, um mir aufgeregt das Neueste aus dem NATO-Hauptquartier zu berichten. An dem Gespräch nahmen meiner Erinnerung nach nur General Schnez und Staatssekretär Hopf teil. Für den Fall, daß der von den Amerikanern geplante Vorstoß zu Lande nach Berlin von der Sowjetunion aufgrund ihrer Überlegenheit aufgehalten werde, hätten die USA die Absicht, so Foertsch, bevor es zum großen Schlag gegen die Sowjetunion komme, eine Atombombe zu werfen und zwar im Gebiet der DDR. Ich fragte nach. »Im Gebiet der Sowjetunion?« Nein, so die Antwort, im Gebiet der DDR.
Die Amerikaner brachten diesen Gedanken ernsthaft ins Gespräch, was schon daraus hervorgeht, daß sie uns nicht nur allgemein gefragt haben, sondern daß sie von uns wissen wollten, welches Ziel wir empfehlen. Das war die kritischste Frage, die mir je gestellt wurde. Ich sagte, diese Verantwortung könne niemand übernehmen. Ein Ziel wie Hiroshima oder Nagasaki komme, so meine eiserne Position, nicht in Betracht, damit würden wir uns trotz eines eventuellen Erfolges, nämlich Erzwingung der Zugänge zu Berlin, eine solche Last auferlegen, daß der Preis in keinem Verhältnis stünde zum Ergebnis. Es war dann von einem russischen Truppenübungsplatz die Rede, auf dem große Mengen russischer Truppen konzentriert waren. Wenn diese Atombombe präzise geworfen und wenn sie einen begrenzten Wirkungsradius haben würde, dann wären die Opfer unter der zivilen Bevölkerung weitgehend auf die Menschen beschränkt, die auf diesem Truppenübungsplatz arbeiteten. Einen Truppenübungsplatz, den ich kannte, habe ich namentlich genannt – ich war dort im Jahre 1942 eine Zeitlang bei der Aufstellung einer neuen deutschen Panzerflakeinheit. Dies erschien mir, wenn es schon dazu kommen mußte und wir den Amerikanern nicht in den Arm fallen konnten, unter den gegebenen Übeln das Geringste zu sein, obwohl es noch immer schlimm genug war.
Der amerikanische Gedanke eines Atombombenabwurfs auf einen sowjetischen Truppenübungsplatz hätte, wäre er verwirklicht worden, den Tod von Tausenden sowjetischer Soldaten bedeutet. Das wäre der Dritte Weltkrieg gewesen. Die Amerikaner wagten einen solchen Gedanken, weil sie sehr genau wußten, daß die Sowjets damals noch nicht über präzise treffende und zuverlässig funktionsfähige Interkontinentalraketen verfügten, auch nicht über einsatzgenaue Mittelstreckenraketen, die in Stellung zu bringen gewesen wären. Der Krieg hätte also weitgehend in Europa stattgefunden, und zwar als konventioneller Krieg, dem die USA eine nukleare Komponente hinzufügen konnten. Solche Überlegungen sind am Sonntag, dem 13. August 1961, zum Glück Makulatur geworden.
Aus: Franz Josef Strauß: Die Erinnerungen, Siedler Verlag Berlin 1989; der Auszug ist dem Kapitel »Berlinkrisen und Mauerbau« entnommen.
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