von Kai Agthe
»Geschehen ist der Götter Ratschluß«, heißt es in Gerhart Hauptmanns Atriden-Tetralogie. Denn Götter gelten als entscheidungsfreudig. Was aber, wenn sie ratlos sind? Für Aphrodite, Ares, Athene, Poseidon und Zeus – der sich und die Seinen als »Kompetenzteam der Weltbeherrscher« bezeichnet – ist guter Rat teuer. So zu erleben in Die Abenteuer des Odysseus, der aktuellen Sommertheaterproduktion der Kleinen Bühne Naumburg – humorvolle neunzig Minuten.
Das Götter-Schiff ist gestrandet. Das kann passieren. Peinlich nur: Keiner aus der Familie der Olympier weiß zu sagen, wo man Schiffbruch erlitt. Das erinnert die fünf an das Schicksal des vielfach geprüften Odysseus, dessen lange Irrfahrt Zeus und Co. zu verantworten hatten. Beim Spiel im Spiel über die Frage streitend, ob der König von Ithaka nun zu seiner Penelope heimkehren darf oder nicht, zeigt sich, daß es auf dem Olymp zugeht wie in jeder Familie: Zeus (Axel Kunze) ist zwar der oberste der Götter und ein väterlicher Tyrann. Aber mit der infantilen Aphrodite (Anna Fülle) kommt auch er nicht zurecht. Über seine Vorhaltung, sie solle den jähzornigen Posaidon (Stefan Wey) nicht »Onkel Posi« nennen, setzt sie sich stets hinweg. Und Kriegsgott Ares (Paul Günther) will nicht viele Worte machen. Ihm ist Schlachtenlärm lieber als Wortgeklingel.. Bei all den emotionalen Ausbrüchen wirkt die rationale Athene (Kristine Stahl) fast etwas unterkühlt.
Und schon erscheint der listenreiche Held auf dem durch weiße Leintücher imaginierten Meer, um nach Hause zu finden. Daß die Götter die Puppen von Odysseus und seinen Gefährten führen, ist sehr sinnfällig. Der Ithaker hat ein Schwert in der Hand und das Lied Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt auf den Lippen. Aber wie passen die in den fünfziger Jahren von Rudi Schuricke gesungene Sehnsuchts-Schmonzette und Homers Epos in der kanonischen Hexameter-Übersetzung von Johann Heinrich Voß zusammen? Man ahnt es: ganz hervorragend! Christian Georg Fuchs, der auch Regie führt, gelang es in seiner Theaterfassung, einen ausgewogenen Mix aus den – wie Wellen wogenden – Hexameter-Versen der unerreichten Voß-Übertragung (1781) und unserer Gegenwartssprache zu amalgamieren.
Natürlich erlebt Odysseus auch in der Naumburger Inszenierung die allseits bekannten Abenteuer. Er trifft auf Kirke und auf Nausikaa, und als Niemand blendet er den Kyklopen Polyphem. An den Schiffsmast gefesselt, vernimmt er unter freudigen Schmerzen den Gesang der Sirenen, die, von Poseidon als Handpuppen geführt, einen Sirtaki darbieten, der es in sich hat. Am Ende haben die Götter doch ein Einsehen und schicken Odysseus zurück nach Ithaka. Das wird auch Zeit, denn noch immer wissen die Olympier nicht, wo sie sich selbst befinden. Also beschließen sie, es dem Odysseus gleich zu tun und erst mal einen Spähtrupp zu bilden.
Die Sommerproduktionen der Kleinen Bühne Naumburg im mittelalterlichen Marientor sind, nicht nur wegen des pittoresken Aufführungsortes, immer der Höhepunkt der Theatersaison. 2006 war eine ergreifende Turandot und 2007 ein witziger Cyrano de Bergerac zu erleben. Dennoch muß man den Akteuren, dem Regisseur und der Intendantin Sibylle Tröster in diesem Jahr attestieren, daß sie sich mit ihrer Odyssee-Adaption selbst übertroffen haben!
Die Abenteuer des Odysseus. Nach Homer. Die nächsten Aufführungen im Marientor in Naumburg am 3., 10., 11. Juli, 21. und 22. August, 19.30 Uhr sowie am 29. und 30. August, 21 Uhr. Karten unter (03445) 273480.
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