von Wolfgang Brauer
Es war einmal ein Bratwurstesser, der wurde im Heimatlande der Rostbratwurst Ministerpräsident und prägte in einer seiner unvergleichlichen Neujahrsansprachen an das Volk der Berge, Täler und der Bucht ohne Meer das unvergleichliche Wort, daß „Thüringen … eine unvergleichliche Mischung aus Kultur und Natur, aus Traditionsbewusstsein und Innovationsbereitschaft, aus Lebensfreude und Kreativität“ sei. Die wahrhaft Kreativen des Landes, die Metzgermeister, ließen denn auch ihr wichtigstes Produkt, die Rostbratwurst, auf die Liste der geschützten regionalen Herkunftszeichen der Europäischen Zentralbehörde setzen. Das war schon im Jahre 2003 und seitdem muß die Thüringer Rostbratwurst vier Hauptmerkmale aufweisen: die Füllung der Wurst muß aus Schweinefleisch mit 21Prozent Fettanteil bestehen, sie muß 100 bis 150 Gramm Gewicht auf die Waage bringen, die Länge darf nur zwischen 15 und 20 Zentimetern variieren und sie muß, das ist die Hauptsache, in Thüringen produziert worden sein. Alles andere ist Scharlatanerie und wird vom „Herkunftsverband Thüringer und Eichsfelder Wurst und Fleisch e.V.“ heftig geahndet.
Bislang verschickte dieser an die 160 „Abmahnungen“ weltweit, denn überall befänden sich Thüringer, denen nichts entgehe, so Herr Schubert, der Geschäftsführer dieses Verbandes gegenüber einer lokalen Tageszeitung. Deren Namen soll hier der Vergessenheit anheim fallen. Diese sogenannte Zeitung zeigte dieser Tage ein unangemessenes Verhalten gegenüber unserer Rostbratwurst. „’Kulturgut’ Rostbratwurst“ titelte diese Postille („Wurstblatt“ verbietet sich in diesem Zusammenhang von selbst) und setzte doch ernsthaft den Begriff Kulturgut in Anführungszeichen! Dabei gebe es, so Herr Schubert, inzwischen selbst in China Rostbratwürste, die aber leider nicht aus Thüringen kämen. Welch ungeahnte Steigerung der freistaatlichen Exportrate wäre da denkbar. Aber Peking hält halt nichts von Menschenrechten und vom Markenschutz und so muß sich der Wurstherstellerverband mit schlappen 35 bis 36.000 Tonnen Bratwürsten im Jahr begnügen. Noch. Denn genauso bescheiden aber konsequent wie der Baron de Coubertin den olympischen Gedanken in die neuzeitliche Welt setzte, tritt auch das wichtigste Thüringer Kulturgut (aufgemerkt, DAS BLÄTTCHEN hat Achtung vor den Werten unserer Heimat, keine Anführungszeichen!) seit nunmehr fünf Jahren kurz nach dem Ende der Winterspiele zum Frühlingsbeginn sein Fett verspritzend und nicht zu überriechen an die Öffentlichkeit. Unser Olympia heißt Holzhausen.
Immer am 21. März ist „Bratwurstanbiss“ – das heißt wirklich so – auf dem Erfurter Domplatz. Aber das ist beileibe nicht so wie in Ihren heimatlichen Kleingärten, liebe Leser, das ist eine sehr ernste Sache! Und die beginnt am Fuße der Wachsenburg bei Arnstadt im schon erwähnten Holzhausen. Dort ist das „1. Deutsche Bratwurstmuseum“ beheimatet und in ebendiesem hat der „Verein der Freunde der Thüringer Bratwurst“ bereits Anfang März das offizielle Bratwurstfeuer entfacht und liebevoll gehegt und gepflegt. Am Tage des Anbisses wurde selbiges von Rennsteigläufern und Thüringer Olympiasiegern über Arnstadt nach Erfurt getragen und um elf Uhr in der Landeshauptstadt würdevoll empfangen. Eine dreiviertel Stunde glühte danach der von ihm entfachte Riesenrost. Erst dann, Punkt 11.45 Uhr, durften die Bratwurstkönigin und der Bratwurstkönig anbeißen und Thüringen glühte auf und ist seitdem das glücklichste Land des Bundes aller Deutschen. Die Saison ist eröffnet und allerorten ziehen an den Wochenenden wieder fröhliche Nebelschwaden über die Auen des grünen Herzens Deutschlands. Aber wir sind weltoffen. Alle sollen teilhaben an diesem wunderbaren Glücksgefühl, egal ob mit Knoblauch, Kümmel oder Majoran. Deswegen hatte auch die „Rostkultur 2010 – Thüringen glüht auf“ (so der offizielle Name des diesjährigen Anbisses) einen würdigen Abschluß. Das Bratwurstfeuer zog am Ende des Festes aus in die Länder der Bundesrepublik Deutschland. Vor der Kulisse des Domes durften Vertreter aller Bundesländer ihre Fackeln am original Bratwurstfeuer aus Holzhausen entzünden, um (so der Herkunftsverband) „symbolisch ein Stück Thüringer Lebensart nach Hause zu tragen“. Diese sei auch den Schwaben, Friesen und Pommern gegönnt – solange sie ihre Würste nicht aus China beziehen! Aber wie schon erwähnt, ein wachsamer Thüringer ist immer und überall.
Zum diesjährigen Bratwurstanbiß wurden übrigens circa 23.000 Würste fachgerecht gegrillt und verzehrt. Bei etwa 25.000 Besuchern gab es also mindestens 2.000 noch zu überzeugende Gaffer. Aber deren kulinarische Missionierung ist nur noch eine Frage der Zeit. Spätestens am 3. Oktober wird die Gemeinde der Rostbratwurstabstinenzler wieder etwas kleiner werden. Nicht wegen der Einheitsfeier, das wäre banal, die gibt es erst seit 20 Jahren. Die Thüringer Rostbratwurst feierte am 20. Januar dagegen ihren 606.Geburtstag und am 3. Oktober 2010 findet in Holzhausen die 5. „Bratwurstiade“ statt. Es wird wieder ein unvergleichliches Fest hiesiger „Lebensfreude und Kreativität“ werden. Denn: „Ein Leben ohne Bratwurst ist sicher möglich, aber sinnlos.“ Nur der so wortgewaltige Ministerpräsident ist leider wegen Mißgunst und einiger Silberlinge an die österreichischen Würstelesser verloren gegangen. Aber die Rostkultur lässt sich durch solch traurige Abgänge nicht beschädigen.
Am Schluß noch der obligatorische Insidertipp: Sollten Sie als Sommergast an dieser teilhaben wollen, so begehen Sie nicht den Fehler, etwa am Sonnabend beim örtlichen Fleischer Ihres Feriendomizils Thüringer Rostbratwürste kaufen zu wollen. Sie erstehen allenfalls ein müdes Lächeln. Sie müssen vorbestellen.
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