Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 20. Juli 2009, Heft 15

Debakel im Kleinen

von Bernhard Spring

Auch an der Martin-Luther-Universität Halle könnte von einem »Superwahljahr« gesprochen werden. Immerhin galt es Mitte Mai, den Studierendenrat, den Senat der Universität, die einzelnen Fachschaftsräte sowie die Fakultätsräte und damit viele wichtigen Gremien der Hochschule zu wählen.
Im Vorfeld des vierfachen Urnenganges ging es erstaunlich ruhig zu – während die Parteien in den Vorjahren alles darangesetzt hatten, sich deutlich voneinander zu unterscheiden, und einzelne Kandidaten um jeden Preis ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen versucht hatten. Lediglich die sozialdemokratische Partei informierte die Wähler mit Handzetteln über ihre vagen Ziele – und kam dabei nicht über Worthülsen hinaus.
Statt dessen trat in diesem Jahr das Wahlamt der Universität verstärkt in Erscheinung, da befürchtet wurde, daß die Teilnahme an den Abstimmungen auf ein Rekordtief sinke. Es wurden um den Universitätsplatz herum Plakate mit Wahlaufrufen an Laternenpfahle gehängt, auf den Mensatischen lagen Handzettel, und schließlich wurde sogar das Pflaster des Campus’ genutzt, um die Studenten zur Teilnahme an den Wahlen zu motivieren. Das Wahlamt machte dabei auch vor moralisch bedenklichen Aktionen nicht halt. So zeigten einige Plakate die mit Zetteln versehenen Füße eines Toten, der, wie der Untertitel verlautete, im Gegensatz zu den Studenten keine Wahl mehr hätte. Weniger anstößig war das Anbringen von Wahlaufforderungen über den Pissoirs der zentralen Universitätsgebäude.
Doch welchen Erfolg zeitigten diese Methoden? Lassen sich aus den Vorgängen an der Universität in Halle Erkenntnisse für die bevorstehende Bundestagswahl ableiten?
Die Ergebnisse sind niederschmetternd: Im Durchschnitt nahmen 24 Prozent der Immatrikulierten an den Wahlen teil. Während sich die Theologen mit mehr als 45 Prozent als Spitzenreiter unter den Urnengängern herausstellten, waren es bei den Geisteswissenschaftlern nur magere neun Prozent, die den Weg in die Wahllokale fanden. Aus dieser Fakultät hatten sich nicht einmal Kandidaten für den Studierendenrat und den Fakultätsrat gefunden.
Peinlich auch ein Vorfall bei den Wirtschaftswissenschaftlern: Nicht nur, daß diese Studenten mit einem Anteil von dreizehn Prozent ebenfalls zu den Wahlmuffeln zählten, es war in dieser Fakultät zu derart großen Unregelmäßigkeiten gekommen, daß die Wahl schließlich für ungültig erklärt wurde und zu einem noch nicht genannten Termin erneut durchgeführt werden muß.
Was sämtliche Meinungsforscher, Politologen und UN-Wahlbeobachter in blanke Bestürzung versetzen würde, nimmt die Studierendenschaft der Universität in Halle gelassen auf. Von Politikverdrossenheit ist hier keine Rede, ganz im Gegenteil. Die einzelnen Gremien und Parteien träten zu wenig in Erscheinung, so daß deren Profile, vor allem aber deren Bedeutung im Universitätsalltag nicht erkennbar sei, heißt es. Und schließlich, und dieses Credo scheint Bestandteil der derzeitigen Mentalität zu seien, laufe doch eh alles weiterhin seinen gewohnten Gang.