von Renate Hoffmann
Nicht in Weimar oder Oßmannstedt – in Biberach an der Riß fand es statt. Ich wollte Christoph Martin Wieland (1733-1813), den Dichter, zuerst in seinem Garten aufsuchen. Ein Gärtchen, wie sich herausstellt, in der Saudengasse Nr. 10. Die schmiedeeiserne Tür ist freundlich-auffordernd geöffnet und weist zwischen schmalen Rabatten, auf denen es sommerlich blüht, ins tiefe Grün. Darin fängt ein vielfarbiger Begonien-Tuff den Blick.
Wie der Garten ein Gärtchen so ist auch das Haus ein Häuschen. Goldgelb herausgeputzt. Doch graugrüne Läden verstecken die Fenster. Einblick und Zugang bleiben verwehrt. Wielands »Tusculanum« (von ihm so benannt nach Ciceros römischem Landsitz) erfährt eine Verschönerung, innerlich und äußerlich. Ein schmales, hochbeiniges Nebengebäude mit einer Außentreppe drängt sich in nachbarliche Nähe. Wieland mietete irn Landhaus – vermutlich 1766 – das Obergeschoß. Zu dieser Zeit stand er als Kanzleiverwalter und Senator in Diensten der Stadt Biberach und übte seine Amtsgeschäfte gewissenhaft, aber voller Unmut aus. Die »ansteckende Dummheit einer Raths-Stube«, meinte er verdrießlich, würde seinen Geist noch völlig austrocknen. Dazu käme der Aufenthalt unter den »hartleibigsten aller Schwaben.« Er fürchtete gar, die Musen könnten ihn »vielleicht auf ewig« verlassen.
Um Kalliope, Euterpe, Thaleia und ihre Schwestern nicht vollends zu verschrecken und für sich eine Klause fern des »unwissenden Haufens« zu schaffen, suchte und fand der Dichter »an einem etwas einsamen Orte ein artiges Gartenhaus … Hier bringe ich des Sommers meine meisten müßigen Stunden zu … ganz allein mit den Musen, Faunen und Grasnymphen«.
Der Aufenthalt gefiel ihm. Gegenüber – zwar artfremd im Gartenmilieu, doch begangen – ein Container, aus dem Geschirrklappern dringt. Drei Damen bereiten ehrenamtlich für Besucher, sollten sie sich trotz des geschlossenen Hauses einfinden, eine Kaffeerunde. »Sonst reichen wir Getränke und Kuchen bei Wieland im Parterre, aber Sie sehen ja, was hier vorgeht«, erklären sie mir. Sie tragen Gartenmöbel hinters Haus. Ich sitze bei Erdbeertorte und Kaffee und freiem Blick in den Bürgerpark (der jetzt verständlicherweise »Wielandpark« heißt) in der Mittagssonne.
Und er, der seinerzeit zu den vielgelesenen Autoren zählte, saß und plagte sich mit dem Reimen. In den »Briefen an einen jungen Dichter«, schrieb Wieland: Wenn ein poetisches Werk »die Grazie der höchsten Leichtigkeit« habe, so könne man sicher sein, »daß es dem Dichter unendliche Mühe gekostet« hat. Trotzdem mühte er sich unverdrossen weiter – überzeugt vom Reichtum der deutschen Sprache. Man kennt ihn als Autor vieler Romane, Dialoge, Verserzählungen; als Shakespeare-Übersetzer. Und als Herausgeber des »Teutschen Merkur«, einer damaligen Literaturzeitschrift von hohem Rang.
Die »Wieland-Damen« erzählen mir auch von den Amouren des Kanzleiverwalters W., ich werde befragt, ob ich den »Abderitischen Esel« auf dem Marktplatz gesehen hätte? »Nein.« »Das müssen Sie nachholen! Wielands Affäre in Biberach hieß übrigens Christine Hogel. Er rief sie ›Bibi‹.«
»Bibi« begegne ich im »Webermuseum«, das in der oberen Etage einen Wieland-Schauraum unterhält. Wissenswertes, Intimes; Zugang zum umfangreichen Dichtwerk; Aufforderung, selbst zu dichten – eine Fülle von Angeboten, um sich Christoph Martin Wieland zu nähern. Aus seiner Biographie erfahre ich, daß er in Biberach ein Jahr lang Direktor der evangelischen Komödiengesellschaft war, diese Gelegenheit nutzte und im September 1761 Shakespeares »Sturm« aufführen ließ. Von ihm übersetzt und inszeniert. Ein deutsches Theaterereignis.
Natürlich kennen wir etliche von Wielands Liebschaften. Doch bisher nicht so richtig »Bibi«. Maria Christina Hogel. Ach, welches Unglück! Der evangelische Kanzleiverwalter Wieland fiel 1761 in Leidenschaft zur katholischen Tochter des Säcklermeisters Hogel. Ohne die »kleine Nachtigall« – sie sang im Kirchenchor – wäre Wieland »tausendmal der Last der Verzweiflung erlegen.« Bibi erwartete ein Kind von ihm. Christoph Martin wollte sie heiraten. Der Skandal in Biberach war perfekt und die Trennung unausweichlich. Die Liebenden sahen sich nie wieder. Nie!
Ein humoriger Anonymus (man verschwieg mir seinen Namen) erdachte zum vorgenannten Ereignis eine köstliche, holperige, zu Herzen gehende Moritat in 9 Bildern und Strophen: »Die gar erschröckliche Liebesgeschichte des Stadtschreibers C. M. Wieland zu dem armen Bürgermädchen Bibi . . . leider war sie auch katholisch, / doch Wieland, den störte das nicht. / Er nahm es auch hier philosophisch / und liebte nicht nur ihr Gesicht …« – Gut informiert und gelaunt verlasse ich die Dichter-Etage.
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