Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 25. Mai 2009, Heft 11

Grund-Gesetz

von Klaus Hansen

Frage: Exakt auf den Tag neun Jahre nach welchem Ereignis begann der Parlamentarische Rat seine Beratungen für eine Verfassung, aus denen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hervorging?
Antwort: Am 1. September 1948, genau neun Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges durch die deutsche Wehrmacht.
Frage: An welchem symbolischen Ort in Bonn am Rhein fanden die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates statt?
Antwort: Sie fanden in der Pädagogischen Akademie statt, einer Ausbildungsstätte für zukünftige Volksschullehrer. Besser konnte man den Umerziehungsgedanken nicht symbolisieren!
Frage: Wie kam der Parlamentarische Rat, also die verfassungsgebende Versammlung, zustande?
Antwort: Der parlamentarische Rat wurde unter strenger Aufsicht der Westalliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) von den elf Ministerpräsidenten der neu gegründeten Länder der Westzonen nach der Wahl durch die Landtage bestimmt. Er wurde nicht direkt vom Volk gewählt.
Frage: Wie viele stimmberechtigte Mitglieder hatte der Parlamentarische Rat?
Antwort: 65 Personen, sämtlich Angehörige von Parteien.
Frage: Aus welchen Parteimitgliedern setzte sich der Parlamentarische Rat zusammen?
Antwort: 27 SPD, 27 CDU/CSU, 5 Liberale (später: FDP), 2 DP (Deutsche Partei), 2 Zentrum, 2 KPD.
Frage: Wer wurde zum Vorsitzenden des Parlamentarischen Rates gewählt?
Antwort: Konrad Adenauer, CDU, 72 Jahre, später erster Bundeskanzler bis 1963, der schon 1914 zu alt gewesen war für den Militärdienst im Ersten Weltkrieg, nun aber noch jung genug, um in seinem achten und neunten Lebensjahrzehnt die Geschicke des Weststaates zu bestimmen.
Frage: Wie viele Frauen, später »Verfassungsmütter« genannt, gehörten dem Parlamentarischen Rat an?
Antwort: Vier der 65 Mitglieder waren Frauen: Elisabeth Selbert (SPD), Friederike Nadig (SPD), Helene Weber (CDU), Helene Wessel (Zentrum).
Frage: Welche persönliche Erfahrung einte fast alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates?
Antwort: Sie waren zwar nicht alle Verfolgte und Opfer des Naziregimes, aber ihre Opposition gegen Hitler war ihnen, bis auf zwei Ausnahmen, gemeinsam. Damit repräsentierten sie nicht das deutsche Volk.
Frage: Wie lange dauerte es, bis der Parlamentarische Rat die Grundrechte des Grundgesetzes, also im wesentlichen die Art. 2 bis 19, formuliert hatte?
Antwort: 77 Stunden, laut Christian Bommarius, Autor de Buches »Das Grundgesetz. Eine Biographie«, 2009.
Frage: Warum überhaupt »Grundrechte«?
Antwort: Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm gerade paßt, wenn er nur einen willfährigen Gesetzgeber findet. Menschen haben »von Natur aus« Rechte, über die auch der Staat nicht verfügen darf: Der allmächtige Staat soll »vom Sockel geholt« werden. Die Grundrechte sind vor allem einklagbare Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.
Frage: Wie heißt die »Verfassungsmutter«, die Artikel 3 Abs. 2 (»Männer und Frauen sind gleichberechtigt.«) im Parlamentarischen Rat gegen viele Widerstände durchgeboxt hat?
Antwort: Elisabeth Selbert, SPD, Mitglied des Hessischen Landtages, später selbständige Rechtsanwältin.
Frage: Wie heißt der »Verfassungsvater«, der Artikel 4 Abs. 3 (»Kriegsdienstverweigerung«) im Parlamentarischen Rat durchgesetzt hat, und zwar gegen den Widerstand von Theodor Heuss, später erster Bundespräsident?
Antwort: Fritz Eberhard, SPD, geboren als Hellmut von Rauschenplat, Widerstandskämpfer im Exil, später Publizistikprofessor an der FU Berlin.
Frage: Wer plädierte im Parlamentarischen Rat für Art. 14, insbesondere Abs. 2 (»Eigentum verpflichtet«) und Abs. 3 (»Enteignung ist zum Wohle der Allgemeinheit zulässig«)?
Antwort: Alle, auch die Liberalen.
Frage: Auf wessen besonderes Engagement ging die Abschaffung der Todesstrafe zurück, heute Art. 102?
Antwort: Auf das national-konservative Ratsmitglied Hans-Christoph Seebohm (DP), später erster Bundesminister für Verkehr, der im Verdacht stand, er trete einzig für die Annullierung der Todesstrafe ein, weil er verurteilte Nazigrößen vor der Hinrichtung bewahren wollte.
Frage: Was besagt die »Ewigkeitsklausel« des Grundgesetzes?
Antwort: Artikel 79 Abs. 3 wird als »Ewigkeitsklausel« bezeichnet. Sie besagt, daß der bundesstaatliche Aufbau, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Grundrechtsbindung der Staatsgewalten sowie die Bestimmung der Bundesrepublik Deutschland zum demokratischen und sozialen Bundesstaat zu unabänderbaren Grundsätzen erklärt werden. Keine noch so große Mehrheit in Bundestag und Bundestag kann dies ändern. Gleichwohl hat das Grundgesetz in den Jahrzehnten seiner Existenz mehr als fünfzig Änderungsgesetze erfahren. Es ist also keine unveränderbare Heilige Schrift, sondern nur in seinen Kernaussagen geschützt.
Frage: Exakt auf den Tag vier Jahre nach welchem Ereignis beendete der Parlamentarische Rat in Bonn seine Beratungen?
Antwort: Am 8. Mai 1949, genau 4 Jahre nach der totalen Kapitulation des Deutschen Reiches, verabschiedete man mit 53 zu 12 Stimmen das »Grundgesetz«. Der 8. Mai wird damit zum ambivalenten Symbol des absoluten Endes und des ungewissen Neuanfangs in der deutschen Zeitgeschichte.
Frage: Warum wurde der vom Parlamentarischen Rat verabschiedete Grundgesetzentwurf in der zweiten und dritten Maiwoche 1949 durch die Landtage der neuen Länder ratifiziert (einzig Bayern stimmte dem Entwurf nicht zu), nicht aber durch eine Volksabstimmung, wie ursprünglich vorgesehen?
Antwort: Weil die stärkste Partei 1949 in den Westzonen die nichtorganisierte Partei der Nazis war – und das Grundgesetz auf dem Wege einer Volksabstimmung keine Chance gehabt hätte. So aber wurden die Westdeutschen zu Freiheit und Demokratie verurteilt. Sie nahmen das Urteil klag- und teilnahmslos hin.

Fazit: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das am 24. Mai 1949 in Kraft trat, vor nunmehr sechzig Jahren also, wurde gegen den Willen des deutschen Volkes verabschiedet. Heute gilt es weltweit als demokratische Musterverfassung, und nicht wenige Deutsche verstehen sich heute als »Verfassungspatrioten«, ein Begriff, den es erst seit 1979 gibt.

PS: »Verfassungspatriotismus« klingt nach Groß- und Wagemut. Leider stimmt das nicht ganz. 1990 bot sich den Verfassungspatrioten die einmalige Gelegenheit, die deutsche Neuvereinigung nach dem Schlußartikel des Grundgesetzes, Art. 146, zu gestalten. Statt dessen wickelte man die sogenannte Wiedervereinigung als »Beitrittsakt« nach dem damaligen Art. 23 ab. Welch eine vertane Großchance zu einem historischen Neubeginn!