Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

21,0 x 29,7

von Henryk Goldberg

Man kommt sich richtig blöde vor. So abgrundtief verspießert. Nie auf einem Friedhof gearbeitet, nie ein Studium geschmissen. Statt auf dem Friedhof geschippt, nur Hamlets Leichenstatt gebaut, statt eines intelligenten Studiums nur eine poplige Lehre geschmissen. Allerdings, das war ein Jahr für ein Leben.
Dabei, es war nur ein Mißverständnis. Journalist kann man nicht werden ohne Abitur – wieso eigentlich? -, also wurde etwas gesucht, das irgendwie mit Zeitung zu tun haben könnte. Und irgendjemand verfiel auf die Schriftsetzerei. Zumal, die Redaktion Das Volk, so hieß mal eine Zeitung in der Gegend, war damals übern Hof. Immer, wenn ich die exakt abgemessene Pause auf dem Hof verbrachte, beneidete ich die jungen Journalisten auf dem Hof, wie ich später kaum wieder jemand beneidet habe. Was hatten die, was ich nicht hatte? Natürlich, Abitur. Und deshalb mußte ich mich wieder dieser Zwangssozialisierung unterwerfen.
Das begann schon am ersten Tag der Lehre. Ich stand da und rauchte. Wer hat Ihnen, sagte Herr W., der Lehrmeister, mit Schärfe, erlaubt, hier zu rauchen? Er würde es doch auch tun, entgegnete ich, und da war schon absehbar, daß dies keine sehr herzliche Beziehung sein würde. Aber es gab auch andere Gründe. Einer war, daß ich nicht sonderlich geschickt im Absolvieren der uns, mit Recht, dort abverlangten Tätigkeiten war. Ein anderer mochte sein, daß ich schon damals wenig Neigung hatte, mich für Dinge zu interessieren, die mich nicht interessieren. Und ein Dritter eine gewisse Konsequenz darin, die manche Ignoranz nennen. Die hatten gar keine Wahl, die mußten mich als Problemfall empfinden, so wie ich sie. Wir waren einfach nicht füreinander bestimmt.
Der Witz bei der Setzerei ist, daß man das erst Erschaffene nach dem Gebrauch, dem Druck, dann wieder zerstören muß, alle Buchstaben fein säuberlich in das dafür bestimmte Fach des Setzkastens ablegen. Ich habe später nie einen dieser dann modischen Setzkästen in der Wohnung gehabt, ich habe sie gehaßt aus tiefem, tiefem Herzen. Und das Ablegen des Satzes auch, es war so langweilig, so trostlos. Also packte ich immer mal eine Handvoll Gesetztes ein, um es nach Feierabend in der Mülltonne vor dem Werk abzulegen. Einmal kam, ich hatte nicht aufgepaßt, Herr W. dazu, und so folgte wieder eine Woche voller Sympathie und Herzlichkeit.
Montag und Dienstag war Berufsschule, Herr Z. Das muß ein gebildeter Mann gewesen sein, in der Polygraphie gibt es viele gebildete Menschen, denn er wies darauf hin, daß sein Name der eines Propheten sei, aber ich mochte ihn trotzdem nicht. Sie glauben wohl, sagte Herr Z. einmal, weil Sie in Deutsch eine Zwei haben, können Sie später davon leben? Ja, sagte ich, das glaube ich wirklich, und im übrigen erkenne man an dieser Zwei, wie ungerecht es hier zuginge. Man kann es Herrn Z. nicht verübeln, daß er mich nicht wirklich liebhatte. Eines der Fächer hieß Fachzeichnen, dort mußten die verschiedenen Schriften gezeichnet werden. Meine Lieblingsschrift hieß lichte Mozart, ich konnte nicht mal schlichte Blockschrift. So war es konsequent, daß ich auf das Anfertigen der Hausaufgaben verzichtete: Es war gleichgültig, weshalb ich die Fünf bekam. Wir waren dann beide froh, als wir voneinander loskamen, die Druckerei Fortschritt und ich. Es war, im Ernst, ein furchtbares Jahr, und ich begann zu ahnen, daß ein Beruf eine wichtige Angelegenheit ist. Das Leben ist zu kurz, um jeden Tag acht Stunden zu leiden.
Indessen, es war nicht ganz vergebens. Ich kann heute noch sagen, welche Abmessungen das Papierformat A4 hat, nämlich 21,0 x 29,7. Das ist sehr nützlich. Zum Beispiel, wenn ich ausrechnen will, wie groß das Papierformat A3 ist.