28. Jahrgang | Nummer 20 | 17. November 2025

NORDEN

von Henry-Martin Klemt

Das Land wird abgetragen, das karge,

wo Wellenbrecher nicht sind. Die Wasser

rücken näher. Die Fischgründe ferner

zum Horizont. Die Schwelle der

Hütte ist nass, wenn wir endlich

fortziehen, im Gepäck die tödliche

Geduld. – So träumte mir unter

nördlichen Lichtern. Zwischen

schroffen Wänden. Das Unabänderliche

im Blick, weiche Luft in den Lungen, ihr

Strömen, bevor der Schnee in die

Täler rieselt, die Dunkelheit vor jedem

Neubeginnen. Freundliche Lichter. Sehr

klein die Häuser, die Hände, unsere

Schrittchen. Steigen und Sinken und

wahrhaben wollen, was war. Schwankende

Zukunft. Heben und Senken der

Flügel. Dort ankommen wollen, wo

viele von uns sich sammeln, sommers.

Nicht die Letzten, nicht die Ersten

sein müssen. Ohne Ring und

Nummer über den Krallen. Ohne

Startschuss, ohne Stoppuhr im

Herz. Die Netzhaut ausgebreitet für

jeden flatternden Blick. Wir, egal

wo, zwischen Göttern und Riesen

geboren, Spielball, Leuchtfeuer nachts.

Wir mit den zu kleinen Booten, zu

großen Schiffen auf Fahrt. Wir, die

spazieren durch dreimal niedergebrannte,

viermal aufgerichtete Städte. Hilfe

wird uns zuteil, die wir annehmen. Sie

macht Helfer und Hilflose gleich im

Angesicht des Eismonds. Es geht

doch nur sehr wenig

allein.

 

Oktober 2025