28. Jahrgang | Nummer 21 | 1. Dezember 2025

„Zwei Narren bin ich auch …“

von Bernhard Scheller

Den großen Spanienroman „Wem die Stunde schlägt“ betrachtend, riskiert Ilja Ehrenburg im zweiten Band seiner Memoiren einen literarischen Vergleich über drei Jahrhunderte: „Den Titel zu seinem Roman entlieh Hemingway einem englischen Dichter des 17. Jahrhunderts, John Donne, dessen Verse er als Epigramm voranstellte:

Kein Mensch ist eine Insel, allein vollständig, jeder Mensch ist ein Stück des Festlands, ein Teil des Erdreichs; wenn eine Scholle fortgespült wird von der See, ist Europa darum kleiner, genauso, wenn es ein Vorgebirge wäre, genauso, wenn es ein Haus deiner Freunde oder dein eigenes wäre; jedes Menschen Tod verringert mich, weil ich einbezogen bin in die Menschheit; und darum schicke niemals aus, zu erfahren, wem die Stünde schlägt, sie schlägt Dir.

Diese Verse können als Epigramm zu allem gelten, was Hemingway geschrieben hat Die Zeiten änderten sich, auch er selbst änderte sich, doch unverändert blieb in ihm jene Empfindung, daß ein Mensch mit allen anderen verbunden sei, was wir oft ‚Humanismus‘ nennen.“

John Donne (1572-1631) und Ernest Hemingway (1899-1961): Zwei Übergangsepochen in all ihren Widersprüchen sind damit apostrophiert, zwei künstlerische Individualitäten, die sich schmerzhaft und betroffen den Unzulänglichkeiten ihrer Zeit stellten, im Wissen um die Verantwortung des Schriftstellers für den Menschen, für die Menschheit. Ehrenburg findet deshalb das übergreifende Phänomen: Humanismus.

Donnes Leben ist in den Aufbruch aus der Scholastik in humanistische Wissenschaften gestellt. Theismus und Atheismus streiten miteinander in seinen Gedichten, die Sinnenfreude und Sinnlichkeit der Renaissance gehen schon einher mit puritanischer Frömmigkeit und zweckgerichtetem Tatchristentum. „Zwei Narren bin ich auch …“, lautet eine bezeichnende Verszeile Donnes. Das empfindliche Gleichgewicht der englischen Klassensynthese unter Elisabeth I., aufgegeben in der vorrevolutionären Krisengesellschaft der Stuarts, wird reflektiert in rebellischer Suche nach Harmonie: Donnes Dichtung kann Dualismen und Antithesen, Ungereimtheiten und Einheiten benennen wie Shakespeares dramatisches Werk gerade in den Jahren der politischen Verdüsterung nach 1600; der Lyriker kann seine Lebenserfahrungen als Galan und Hofmann, Wissenschaftler und Religionsphilosoph, Epikureer und theoretischer Denker in vehemente Sprache setzen – ein neues System aus dem bröckelnden alten vermag und will er nicht entwickeln, wäre seine Dichtung dann doch utopisch verklärend oder transzendent.

Denkbar unzutreffend hat man den humanistischen Lyriker Donne einer „metaphysischen Schule“ zugeordnet. Das hieße, streng genommen, diese Dichtung führe von der Wirklichkeit, von den Menschen weg. Das Gegenteil aber passiert in Donnes Werk: „Paradoxes und Probleme“ – so der Titel religiöser Streitschriften Donnes – sind dem Tag und dem Tagwerk des Schriftstellers, Politikers, Theologen, Philosophen, des Liebhabers und Familienvaters verpflichtet. Die Dialogkonfrontation, die auf produktiven Widerspruch orientierten Figurenkonstellationen des elisabethanischen Volkstheaters fließen dabei in die lyrische Sprache Donnes ein, so daß die von der marxistischen Literaturwissenschaft geprägte Kategorisierung „dramatischer Realismus in Stil und Verssprache“ sehr treffend ist, atmen doch ganz besonders die Satiren von Donne den Geist der aufsässigen „University Wits“ um Christopher Marlowe und die sensitiven Elegien den erotischen Glut auch Shakespearescher Liebessonette.

Der „Nebenbei-Poet“ John Donne, noch von seinem Zeitgenossen Ben Jonson als einer der ersten Dichter in der Welt gewürdigt, ist von der restaurativen Bürgerlichkeit später vergessen worden oder allenfalls in Nebensätzen tadelnd erwähnt. Die Dissonanzen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, widerspiegelt bei Donne in einem ungewöhnlichen Sprachstil – sinnliche Vorgänge in zugespitzten Metaphern –, entziehen sich dem Blickfeld bourgeoiser „Schönheits-Ideale“ in den nachfolgenden kapitalistischen Jahrhunderten; erst die Krise der spätbürgerlichen Dichtung läßt, bei Yeats und Eliot etwa, wieder einen immanenten Bezug zu der von einer anderen Zeitenwende zerrissenen Poetik Donnes zu; ihrer Lebenswahrheit sollten auch wir uns nicht verschließen.

So ist es ein großes Verdienst des Leipziger Reclam-Verlages mit der Sammlung „Zwar ist auch Dichtung Sünde …“ John Donne beinahe neu entdeckt zu haben. Maik Hamburger hat unter Mitarbeit von Gabriele Bock die Texte thematisch und genrebezogen angeordnet; die wesentlichen lyrischen Aussagen Donnes gewinnen den Charakter von Zeitdokumenten. Hamburgers bestechend einfach geschriebenes Nachwort stellt logische Bezüge zwischen Biographie und Schaffen in zwingender Anschaulichkeit her. So wird diese Reclam-Ausgabe* eine wichtige Ergänzung zu den Gipfelleistungen englischer Dramatik und Lyrik der Shakespeare-Zeit.

Weltbühne, 36/1982

Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.

Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor – seinerzeit als Literaturwissenschaftler an der Karl-Marx-Universität Leipzig tätig – oder mögliche Inhaber der Rechte an dessen Publikationen ausfindig zu machen. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.

* – Das Reclam-Bändchen ist antiquarisch noch zu haben.