Während meiner Moskauaufenthalte in Perestroika-Zeiten haben wir uns immer wieder in seinem Büro oder auf der Datscha getroffen. Nachdem er in das Zentralkomitee der KPdSU gewählt worden war, hatte er das Holzhaus im Moskauer Umland geschenkt bekommen. Nach dem Verbot der Kommunistischen Partei gehörte er zu den Mitbegründern der Sozialistischen Partei der Werktätigen Russlands. Roy hatte stets ein Manuskript oder ein Buch parat, das er zur Veröffentlichung in der Bundesrepublik anbot. Einige seiner Texte erschienen im Blättchen, in Utopie kreativ und in Berliner Debatte. Initial.
Nach dem Armeedienst von 1942 bis 1945 studierte Roy Medwedew von 1946 bis 1951 an der philosophischen Fakultät der Leningrader Universität. Danach ging er als Geschichtslehrer aufs Land und wurde 1956 – in diesem Jahr wurde sein im Gulag verstorbener Vater rehabilitiert – Kandidat der KPdSU. Von 1958 bis 1961 arbeitete er als Redakteur und dann als stellvertretender Direktor im Staatsverlag des Ministeriums für Volksbildung; von 1961 bis 1970 als Oberassistent an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der UdSSR. Für die Zeit danach findet man in den einschlägigen Handbüchern die Angabe „Publizist“.
1989 gehörte der Dissident zu den gewählten Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR. Seinem Antrag, ihn wieder in die KPdSU aufzunehmen, trug die Zentrale Parteikontrollkommission Rechnung. Zwanzig Jahre zuvor war Medwedew wegen seines Buches „Vor dem Richterstuhl der Geschichte“ aus der Partei ausgeschlossen worden.
Die am 14. November 1925 in Tbilissi geborenen Zwillingsbrüder Shores (er verstarb am 15. November 2018 im Londoner Exil ) und Roy hatten ihr Thema gefunden und gingen es gewissermaßen arbeitsteilig an. Roy übernahm den gesellschaftswissenschaftlichen Part und schrieb über dreißig Bücher, die in vierzehn Sprachen übersetzt und in über zwanzig Staaten vertrieben wurden. Shores wandte sich den Naturwissenschaften zu. Seine 1962 fertiggestellte Studie über Trofim Lyssenko und dessen Feldzug gegen die Genetik rief sofort die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften und die Prawda auf den Plan. Der Autor wurde im Mai gleichen Jahres verhaftet und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach seiner Entlassung reiste Shores nach Großbritannien aus.
In seinem Buch über Andropow beschreibt Roy Medwedew eine der letzten Kollisionen mit der Staatsmacht. Im August 1968 hatte KGB-Chef Juri Andropow den ersten Auskunftsbericht über den Dissidenten auf dem Tisch. Damals schlug er der Abteilung Propaganda des ZK vor, Roy Medwedew vorzuladen und mit ihm über ein Buchprojekt zu einer interessanten Zeitspanne in der Geschichte der Sowjetunion zu sprechen. Der Preis für das Entgegenkommen sollte der Verzicht auf die Publikation eines Buches über Stalin sein. Die von Andropow angesprochene ZK-Abteilung war an einer Zusammenarbeit aber nicht interessiert und leitete den Vorgang an die Kommission für Parteikontrolle weiter. Im August 1969 wurde der uneinsichtige Autor aus der KPdSU ausgeschlossen. Seine Auffassungen, lautete die Begründung, seien mit der Mitgliedschaft in der KPdSU nicht vereinbar.
Als Mitbegründer und Ko-Vorsitzender der Sozialistischen Partei der Werktätigen setzte sich Medwedew während des Prozesses gegen die KPdSU, der vom 26. Mai bis zum 30. November 1992 vor dem Verfassungsgericht geführt wurde, als Zeuge für seine Genossen ein. Inzwischen liegen mehrere Publikationen vor, die den Verlauf der Verhandlungen und die Anhörung der Zeugen dokumentieren. Sowohl diese als auch die Publikationen des Jubilars über Juri Andropow (1993) und insbesondere über Wladimir Putin (2005, 2006, 2007, 2008) bieten nach wie vor genug Stoff zum Nachdenken und zur Diskussion mit dem Autor.
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