Laut deutschen Historikern war Hermann Göring der Einzige, der Adolf Hitler hätte ersetzen können. Er genoss im Gegensatz zu Joseph Goebbels, Heinrich Himmler oder Rudolf Heß echte Sympathien in Teilen der Bevölkerung. In der Riege der NS-Größen sei Göring zudem der „kompletteste Politiker“ gewesen; nur er sei „intelligent, wandlungsfähig, brutal, machtgierig, zielstrebig, intrigant, kommunikationsstark und volksnah“ genug gewesen, um „auf der gesamten Klaviatur des politischen Systems seiner Zeit“ spielen zu können.
„Allerdings ist er nicht immer Herr der Lage; er verzettelt sich, verbraucht sich und langweilt sich in der Vielzahl seiner Ämter und Posten. Außerdem zählt zu seinen größten Schwächen, dass er nicht der Fleißigste ist“, schreibt Andreas Molitor, der das Leben des machthungrigen Mannes, der Gegner kaltblütig ausschaltete, am Holocaust mitwirkte und ein bizarres Luxusleben führte, ausgesprochen spannend erzählt.
Hermann Göring wurde 1893 während eines Kuraufenthalts seiner Mutter im oberbayerischen Rosenheim geboren. Sein Vater, ein promovierter Jurist diente währenddessen als hoher Diplomat in Haiti und in der Dominikanischen Republik. Seine Mutter gab ihren Sohn die ersten drei Jahre zur Pflege, während sie mit ihrem Mann in Haiti war. 1896 kehrten die Görings nach Deutschland zurück. Hermann wurde in Fürth eingeschult, später schickte ihn sein Vater zum Militär.
Als Jagdflieger erlangte er im Ersten Weltkrieg einige Bekanntheit, ging danach nach Dänemark und Schweden, wo er seine erste Frau kennenlernte und heiratete. Göring immatrikulierte sich 1921 an der Universität München und nahm 1923 am Hitler-Putsch teil. Danach musste er flüchten, wurde morphiumsüchtig und landete 1925 in Stockholm in einer Nervenheilanstalt. Die vom Reichstag im August 1925 erlassene Amnestie für politische Straftäter erlaubte Göring die Rückkehr nach Deutschland. Er trug anschließend maßgeblich zum Aufstieg der Nazis bei. Im August 1932 wurde er zum Reichstagspräsidenten gewählt, kurze Zeit später ernannte Hitler ihn zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich und zum Reichskommissar für den Luftverkehr. Am 11. April 1933 wurde Göring auch Ministerpräsident Preußens. Er war für die Gründung der Gestapo sowie die Einrichtung der ersten Konzentrationslager verantwortlich.
Seine Geltungssucht und sein Streben nach Macht zogen sich wie ein roter Faden durch Görings Leben. Nur seinem Führer Adolf Hitler ist er devot ergeben. Molitor schreibt: „Was Göring als Treue deklariert, ist in Wirklichkeit der Opportunismus einer schwachen und zerrütteten Persönlichkeit, die nichts Neues in die Welt gebracht hat – außer der Erkenntnis, dass man es mit Ehrgeiz, Cleverness, Intrigen, Skrupellosigkeit und Brutalität sehr weit bringen kann. […] Sein größtes Talent liegt in der Selbstinszenierung. Die allerdings treibt er zur Perfektion. Göring ist intelligent genug, zu wissen, dass ausschließlich die Gunst Hitlers ihm seine Macht und seinen pompösen Lebensstil sichert.“
Nachdem er sich in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges dieser Gunst nicht mehr sicher sein konnte, zog er sich auf seinen Landsitz zurück, wo ihm Kunstraub, Jagdleidenschaft und dekadenter Luxus weit wichtiger waren als die Angriffe alliierter Bomber.
Hitler duldete Görings pfauenhaften Lebensstil, den er insgeheim verachtet, denn beim Volk ist Göring weiterhin relativ beliebt. Goebbels schrieb Anfang Dezember 1944. „Der ganze Lebensstil, den Göring augenblicklich pflegt, ist dem Führer widerwärtig und ekelhaft geworden.“ Ganz zum Schluss verstieß Hitler seinen designierten Nachfolger Göring und wollte ihn hinrichten lassen.
Molitor beschreibt auch das Ende sehr fesselnd. Göring der anfangs noch hoffte, dass man mit ihm als offiziellen Vertreter des besiegten NS-Regimes über die Kapitulation verhandeln würde, musste seinen Irrtum schnell einsehen, denn er wurde ins Gefängnis gebracht, auf Diät gesetzt und von seiner Drogensucht entwöhnt.
Göring war schließlich einer der Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, wo er nochmal einen großen Auftritt hatte. Er wurde am 1. Oktober 1946 schuldig gesprochen und zum Tod durch den Strang verurteilt. Durch Suizid mittels einer Zyankali-Giftkapsel am Vorabend der Hinrichtung entzog er sich der Vollstreckung des Urteils.
Sein Leichnam und die von zehn Hingerichteten wurden eingeäschert und die Asche in einen Isar-Zufluss gestreut.
Eine außerordentlich interessant und kenntnisreich erzählte Biographie, die auch viele persönliche Seiten Görings zeigt.
Andreas Molitor: Hermann Göring, Macht und Exzess. Eine Biografie. Verlag C.H. Beck, München 2025, 411 Seiten, 32,00 Euro.
Schlagwörter: Andreas Molitor, Biographie, Ernst Reuß, Hauptkriegsverbrecher, Hermann Göring


