28. Jahrgang | Nummer 14 | 18. August 2025

Sizilianische Impressionen – Monreale, Cefalù, Diva Ätna, Taormina

von Alfons Markuske, notiert in Giardini Naxos

Im Städtchen Monreale, Luftlinie nur wenige Kilometer von der mächtigen Normannenkathedrale Palermos (Teil IV dieser Reisenotizen) entfernt, erhebt sich ein nicht minder imposanter mittelalterlicher Dom, der seine Entstehung im Eiltempo – nur acht Jahre nach der Grundsteinlegung von 1174 wurde diese Kirche vom Papst bereits zum Sitz eines Erzbistums erhoben – nicht etwa überbordender Frömmigkeit verdankt, sondern blankem Machtkalkül. Weil ihm der ehrgeizige Erzbischof von Palermo, Walter of the Mill, zu mächtig wurde, setzte ihm König Wilhelm II., den man auch den Guten nannte, kurzerhand ein gleichberechtigtes weiteres Erzbistum vor die Nase. Nicht nur mit Dom, nein, auch samt einem Kloster, einem Erzbischofspalast und einer Königsresidenz. Erhalten von dem Riesenkomplex ist lediglich die Kirche, deren Fertigstellung der nur 36-jährig verstorbene Auftraggeber nicht mehr erlebt hat. Er wurde darin bestattet und ruht seither neben seinem Vater König Wilhelm I., geheißen der Böse. Im Dom zu bewundern sind bis heute 6340 Quadratmeter mit Gold unterlegte Mosaiken, deren Pracht jenen in der Capella Palatina (Teil IV) nicht nachsteht, sowie ein Kreuzgang mit 228 schlanken und kunstvoll verspielten Doppelsäulen.

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Cefalú, wie Palermo an der Nordküste Sizilien gelegen, etwa auf halber Strecke von dort nach Messina, verdankt seinen Normannendom einer religiös deutlich stimmigeren Veranlassung als Monreale: Ein gnädiges Schicksal hatte König Roger II., den Großvater Wilhelms I., 1131 aus lebensbedrohlicher Seenot an diese Küste gespült. Daraufhin legte er das Gelübde ab, sich mit dem Bau eines Gotteshauses erkenntlich zu zeigen. – Vielleicht erklärt diese Vorgeschichte zugleich, warum der Weltenherrscher Christus Pantokrator, der in der Apsis alle Blicke auf sich zieht, hier nicht wie in den Kathedralen von Palermo und Monreale ein strenges Gesicht zeigt, sondern ein mildes, gütiges.

In der Via Vittorio Emanuele stößt man auf ein seltenes Zeugnis aus arabischer Zeit, wahrscheinlich aus dem zehnten Jahrhundert: einen steinernen Platz zum Wäschewaschen. Dessen einzelne Arbeitsbecken samt angeschrägten Waschflächen werden durch einen Bach seit über 1000 Jahren mit ständig fließendem Wasser versorgt. Epochen später, unter spanischer Herrschaft, die alle Zeugnisse arabischer Präsenz mit bekannter katholischer Intoleranz, also penibel, tilgen ließ, erschien der Platz offenbar als zu profan, um auch daran Hand anzulegen. So konnten die Frauen von Cefalú den Ort noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts seiner ursprünglichen Bestimmung gemäß nutzen. – Nur wenige Schritte vom Waschplatz entfernt kann man im Ristorante Vecchia Marina Cefalù gut und preiswert speisen, mit Seeblick.

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Von Cefalú Richtung Messina geht es über die Nordautobahn und durch höchst bergiges Gelände. Auf dem Mittelstreifen blüht roter Oleander, an den Pistenrändern Ginster. Die Tangente selbst ist eine einzige Aneinanderreihung kilometerlanger Tunnel, verbunden durch Viadukte in teils schwindelerregender Höhe. Das Ganze in einem Erdbebengebiet. 1908, bei einem schweren Beben, wurde Messina zu 80 Prozent zerstört; allein im Stadtgebiet gab es 60.000 Tote, insgesamt über 200.000. Seit Fertigstellung der Autobahn 2005 hat es in der Gegend allerdings kein schweres Beben gegeben. Insofern besteht bisher keine Veranlassung, das Verkehrsbauwerk womöglich als weiteres Zeichen menschlicher Hybris zu betrachten …

Auf dem Weg zur launische Diva Ätna – dieser Berg ist im Italienischen weiblich und sein Gipfel meist wolkenverhangen – sehen wir die Meerenge von Messina, zwischen 3,2 und acht Kilometern breit, 32 Kilometer lang und bis zu 250 Meter tief. Die Durchfahrt gestaltete sich von je her sehr schwierig, aufgrund der Wind- und Strömungsverhältnisse sowie der beiderseits nahen Steilküsten. Antike Autoren lokalisierten daher die beiden mythologischen Ungeheuer Skylla und Charybdis, die Homer zufolge an einer Meerenge hausten und vielen Seeleuten zum Verhängnis wurden, an diesem Ort. Die Verbindung zum kalabrischen Festland wird traditionell mit Eisenbahn- und Autofähren gewährleistet.

Brückenprojekte sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder ventiliert worden. Aber Pylone lässt die Wassertiefe nicht zu. Daher verfolgt die Meloni-Regierung das Projekt einer sechsspurigen Hängebrücke mit zusätzlich zwei Eisenbahnsträngen. Allein für das Bauwerk sind 13,5 Milliarden Euro veranschlagt. Für die notwendige Peripherie rechnen Fachleute mit Kosten in vergleichbarer Höhe. Der Haken an der Sache: Bisher liegt der größte überbrückte Abstand zwischen den Pylonen einer Hängebrücke bei 2000 Metern – die erst 2022 eröffnete türkische Çanakkale-1915-Brücke überspannt die Dardanellen.

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Der Ätna ist mit derzeit 3403 Metern Höhe der höchste aktive Vulkan Europas. Leichte Erdbeben gehören in seiner Umgebung zum Alltag und mehr oder weniger regelmäßig alle 20 Jahre kommt es zu einem spektakulären, gefährlichen Ausbruch. Der bisher letzte fand 2001 statt, so dass der Berg überfällig ist.

An den Straßenrändern bergan schwarze Asche, die der Ätna mehr oder weniger permanent ausstößt. An manchen Stellen überwuchert Anfang Mai über und über zitronengelb blühende immergrüne Katzenkralle das Gestein des Berges. Der hier endemische, bis zu sechs Meter hohe Ätna-Ginster hingegen wird erst im Hochsommer blühen.

Apropos Zitronen: Das spezielle Klima in der Ätna-Region ermöglicht drei Zitronenernten im Jahr, wobei die frühesten Früchte die mit Abstand besten sind. Auch für ihren breit gefächerten Obstanbau (Äpfel, Aprikosen, Birnen, Erdbeeren, Haselnüsse, Mandeln, Orangen, Pfirsiche und Pistazien) wird die Gegend geschätzt – in der Qualität alles immer noch einen Tick besser als sonst auf Sizilien.

Für Touristenbusse endet die Anfahrt auf Terrazza dell’Etna, einem Plateau auf 2000 Metern Höhe. Hier reichen die Bus- und PKW-Parkplätze für 1000 und mehr Besucher gleichzeitig aus. Wer will, kann per Seilbahn noch einige hundert weitere Höhenmeter bewältigen – zum stolzen Preis von 50 Euro pro Person. (Die Seilbahnanlage ist schon mehrfach unter Lavamassen begraben und anschließend wieder aufgebaut worden.) Ein Aufstieg bis zum Kraterrand hingegen ist für Touristen offiziell nicht möglich.

Es pfeift ein scharfer Wind über das nackte Vulkangestein und die am Fuße des Berges sommerliche Temperatur ist soweit gefallen, dass Jacken und Mützen zum Einsatz kommen. Ältere erloschene Nebenkrater können per pedes erklommen und teilweise umrundet werden. Die Sicht auf den Gipfel versperrt ein weiterer Nebenkrater. Mehr als ein Dutzend dicht gedrängter Souvenirbuden legt beredt Zeugnis davon ab, dass sich aus erkalteter schwarzer Lava jede Menge Staubfänger der Marke Touri-Tinnef herstellen lässt – vom Aschenbecher über Briefbeschwerer in Tiergestalt bis zum Kreuz mit angenageltem Heiland. Auch Hotels, Bars und Imbissbuden entbieten ihre Dienste.

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Taormina unweit des Ätnas ist der Luxusbadeort der Sizilianer schlechthin. Zur malerischen etwa 200 Meter höher als der Strand liegenden Altstadt gelangt man über eine steile Straße mit scharfen Serpentinen, deren Breite so bemessen ist, dass man unwillkürlich die Augen schließt, wenn sich in einer Spitzkehre zwei Busse begegnen. Die Fahrer ficht das nicht an. Eine Hand am Steuer genügt, mit der anderen grüßt man den Kollegen. Gegebenenfalls wird, auch in Kurven, auf Höhe der Fahrerkabinen gestoppt, um durch die geöffneten Fenster (hoffentlich wenigstens) Unaufschiebbares auszutauschen. Auf der gesamten Strecke markiert für den Fall eines Versagens von Fahrer, Bremsen oder Lenkung lediglich eine hüfthohe Mauer die fragile Grenze zwischen Fahrbahn und der Möglichkeit eines Absturzes aus erklecklicher Höhe …

Durch die engen Sträßchen der Altstadt wiederum schieben sich bereits in der Vorsaison nachmittags Touristenströme mit einer Unaufhaltsamkeit, mit der sich bei Vulkanausbrüchen glühende Lava Ätna abwärts wälzt. Wir kehren daher am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück in die Altstadt zurück und haben sie für eine Weile fast für uns allein.

Im Dom fasziniert uns eine lebensgroße stehende Madonna, die den Christusknaben nicht wie üblich auf dem Arm hält, dieser scheint vielmehr vor ihr zu schweben. Geschaffen von einem Gaggini, Spross einer berühmten Bildhauerfamilie des 16. Jahrhunderts.

Das ursprünglich von den Griechen an einem geeigneten Berghang und genau vis-à-vis dem Ätna im dritten vorchristlichen Jahrhundert angelegte Amphitheater wurde in römischer Zeit überbaut und erweitert. Es bot über 5000 Besuchern Platz. Goethe notierte in seiner „Italienischen Reise“: „Setzt man sich nun dahin, wo ehemals die obersten Zuschauer saßen, so muß man gestehen, daß wohl nie ein Zuschauer im Theater solche Gegenstände vor sich gehabt. Rechts zu Seite […] sieht man an dem ganzen langen Gebirgsrücken des Ätnas hin, links das Meerufer bis nach Catania, ja Syrakus […].“ Doch hier trug der Genius aus Weimar etwas dick auf oder war schlicht einem Irrtum aufgesessen, wie unsere Reiseführerin erläutert. Denn in der Antike versperrte hinter der Orchestra, der halbrunden Spielfläche für Schauspieler und Chor, ein zweigeschossiges steinernes Bühnengebäude aus römischer Zeit die Aussicht auf den Vulkan, und selbst heute, wo das Gebäude nurmehr Ruine ist, könnte der Blick nie bis Catania oder gar bis zum noch weiter entfernten Siracusa schweifen – wegen der landschaftlichen Gegebenheiten zwischen hier und dort. Es war nicht Goethes einziger Irrtum auf Sizilien (siehe Teil I).

Unmittelbar neben dem Eingang zum Gelände des Amphitheaters liegt das Nobelhotel „Timeo“. Dort hatte Donald Trump beim G7-Gipfel 2017 Quartier bezogen. Ob sich der Name der Herberge von einem Vers aus Vergils Aeneis herleitet? „Timeo Danaos et dona ferentes – ich fürchte die Griechen, selbst wenn sie Geschenke bringen.“

Ende.

 

Die vorangegangenen Teile dieser Reisenotizen sind erschienen in Blättchen 10/2025, 11/2025, 12/2025 und 13/2025.