28. Jahrgang | Sonderausgabe | 1. September 2025

Die Vehikel der Weltbühne

von Ironimus

Die Fahrzeuge, welche den Mitarbeitern des Blattes in den vergangenen Jahrzehnten von Amts wegen zur Nutzung zur Verfügung standen bzw. gestellt wurden, entbehrten nicht einer gewissen oder speziellen bzw. speziell-extraordinairen Originalität, die jedoch nur einschlägig vorgebildete Sammler und Archivare von abstrusen Unikaten so recht würdigen konnten und können.

Also: Der vorletzte Kraftwagen der Weltbühne war – wenn ich mich recht erinnere – ein viertüriger EMW aus Eisenach, der überhaupt nicht klapperte, somit natürlich allgemein auffiel (er quietschte auch beim Bremsen nicht), daher beschlagnahmt und in einem Museum für Umweltschutz ausgestellt wurde.

Von unzweifelhaft historischer Bedeutung war jene riesige Chevrolet-Limousine, deren genauer Typ nur von einem spezialisierten Automobil-Forscher hätte bestimmt werden können. Da hatte man uns eine wahre Arche der Landstraße angedreht, in der sämtliche Redakteure und Sekretärinnen mitsamt ihren Schreibtischen und Kleiderständern mühelos Platz finden konnten. Unser Chevvy hatte sich – wie man erzählte – ursprünglich im Besitz von Cecil B. De Mille befunden; dem amerikanischen Filmregisseur („Cleopatra“, „Kreuzzüge“) soll der Wagen aber zu groß gewesen sein.

Der Innenraum des Gefährts wurde von einem halbwegs fest eingebauten Sofa abgeschlossen. Kenner bekleideten sich, bevor sie darauf Platz nahmen, zum Schutze ihrer unteren Rückseite mit einem bergmännischen Arschleder, denn die in Chevvys Sitzbank verborgenen Sprungfedern waren nichts weniger als gesäßfreundlich.

Der Treibstoffverbrauch des gigantischen Fuhrwerks war enorm. Er belief sich bei einer Fahrt von hundert Kilometern auf etwa sechsundfünfzig Liter – theoretisch betrachtet; denn praktisch ist das Ding für die Weltbühne nicht einmal neunundneunzig Kilometer gefahren. Der Kraftfahrer fand nämlich bald heraus, daß unser Chevrolet auch während des Parkens Benzin verbrauchte, was auf die poröse Beschaffenheit des Tanks zurückzuführen war. Der Kraftstoff lief gewissermaßen, ehe man ihn oben noch richtig hineingeschüttet hatte, unten schon wieder heraus.

Nach dieser Entdeckung wurde das Gerät aus dem Verkehr gezogen. Heute dient es (ohne Räder und mit farbenfroher Außen-Lackierung) den Kleingärtnern eines staatlich anerkannten Naherholungsgebiets als Klubheim.

Leicht bemooste Welt-Bühnenarbeiter (wie der Berichterstatter) erinnern sich noch an den legendären „Adler-Trumpf“, mit welchem die Redaktion Furore machte, als sie ihre Geschäfts-Stuben noch in Pankow hatte. (Das war vor Jahrzehnten.) Der „Adler-Trumpf hatte eine eckige Kühlerhaube etwa von der Form eines großen und zu breiten Kastenbrots. Auch dieses Vehikel konnte erstaunlich viele Passagiere (allerdings ohne das dazugehörige Büro-Mobiliar) beherbergen. Heute würde man das Gefäß mit einer Sardinenbüchse vergleichen – aber in jenen Jahren gab es keine Sardinen! In besonderen Fällen, die gar nicht so selten waren, fuhren mehr Leute mit dem kleinen „Adler-Trumpf“, als die Polizei erlaubt. Nun, die Polizei konnte großzügig sein, denn damals gab es nicht sehr viele Autos und vermutlich nur diesen einen „Adler-Trumpf“. Als freilich eines Tages die Winker-Anlage zu Bruch ging (die sogenannten Blinkleuchten kamen erst später in Mode), konnten wir keine Duldsamkeit erwarten.

Der spätere Redaktions-Organisator Gerhard Löwe, seinerzeit als Mädchen für alles tätig, begab sich auf die Pirsch, von der er nach längerer Zeit unrasiert, aber stolz und glücklich heimkehrte: er hatte ein zwar nicht mehr ganz neues, aber immerhin noch funktionstüchtiges Winker-Paar erbeutet. Es handelte sich allerdings um riesige Apparate, die tatsächlich winkten, sich also, um den Richtungswechsel anzuzeigen, auf und nieder bewegten. Früher waren Omnibusse und Lastkraftwagen mit Winkern dieser Art ausgerüstet. Aufgrund geheimnisvoller Umstände, die technische Laien niemals begreifen, ließen sich die Riesen-Winker am Klein-Auto anbringen.

Unser Problem bestand lediglich darin, daß wir mit dem Wagen niemals während der Schulpausen abfahren oder ankommen durften. Denn wenn wir mit dem „Adler-Trumpf“, dessen mittlere Breite etwa der Länge der beiden Winker entsprach, vorschriftsmäßig starteten oder landeten, strömten vom nahegelegenen Schulhof sämtliche Kinder herbei, um das technische Wunderwerk zu bestaunen, das für sie offenbar nur noch mit dem Schiffshebewerk Niederfinow oder einem lenkbaren Heißluftballon vergleichbar war.

Heute haben wir, falls das uns zugewiesene redaktionelle Dienst-Fahrzeug defekt sein sollte (was ja vorkommen kann), keine größeren Probleme. Denn in unmittelbarer Nähe unseres Verlagsgebäudes, dessen Büros wir mit schätzungsweise 374 anderen Redaktionen teilen, befinden sich die Haltestellen der Autobusse 30, 40, 57, 78 sowie der Straßenbahnen Nr. 11, 15, 18, 20, 24, 28, 63, 71, 72; auch die S-Bahn-Strecken der Fahrplan-Nummern 100, 105, 110, 115 und 143 sind genauso mühelos zu erreichen wie die U-Bahn-Züge nach Pankow (Vineta-straße) bzw. Thälmannplatz oder Friedrichsfelde (Tierpark). Herz, was willst du mehr.

Weltbühne, 50-51/1982