„Das Schicksal unserer Welt hängt möglicherweise
von den Bemühungen eines einzelnen Menschen ab,
der jene Maschinerie der Freiheit erbaut und erweitert,
welche die Welt für den Kapitalismus sicher macht.“
Peter Thiel
Donald Trump beherrscht nach wie vor die Schlagzeilen der Weltpresse. Eine gewisse Zeit tat es ihm sein Buddy Elon Musk gleich; inzwischen ist der aus welchen letztlichen Gründen auch immer ins zweite Glied getreten. Ein anderer Mann – Peter Thiel – kam und kommt dagegen kaum in den Aufmachern vor. Ich denke jedoch – er gehörte dahin. Und zwar ob seiner politischen Vorstellungen, seiner realen Wirkmacht und seiner Gefährlichkeit. Im Blättchen fiel der Name schon …
Wer ist Thiel? 1967 kam er in Frankfurt am Main zur Welt. Seine Eltern wanderten ein Jahr nach seiner Geburt in die USA aus. Nach Aufenthalten in Südafrika und Namibia zog es die Thiels 1977 nach Kalifornien. Der Filius studierte Philosophie an der Stanford-Universität, war Mitgründer der konservativen Zeitschrift Stanford Review; später kam Jura hinzu. Er fing als Anwalt an, hatte dann verschiedenste Jobs, unter anderem als Trader und Redenschreiber. Doch überall schien er unzufrieden zu sein und anzuecken. Er bezeichnet sich als Contrarian; deutsch etwas ungenau mit Querdenker oder Nonkonformist wiedergegeben. Doch es ist mehr – Thiel geht es darum, grundsätzlich eine konträre Meinung zur Mehrheitsmeinung einzunehmen; so soll er 2016 gesagt haben: „Vielleicht habe ich immer dieses Hintergrundprogramm laufen, bei dem ich versuche, mir zu überlegen: ‚Okay, was ist das Gegenteil von dem, was du sagst? – und dann versuche ich das‘.“
Seit der Dotcom-Blase in den späten 1990er-Jahren hat keine Branche die Welt stärker aufgemischt als die High-Tech-Industrie des Silicon Valley. Und nur wenige Köpfe haben das Silicon Valley mehr geprägt als Thiel – Mastermind und Kapitalgeber hinter einer ganzen Reihe von Unternehmen wie Paypal, Facebook oder Palantir, ein Unternehmen für Datenanalyse und Überwachungstechnologie; er war auch früh Investor in SpaceX. All das machte ihn reich. Heute ist er milliardenschwerer Unternehmer mit Beziehungen zu vielen Tech-Größen wie Mark Zuckerberg, Musk ist sein Duzfreund. Doch trotz seines Einflusses und der Allgegenwart seiner Projekte bleibt er weitgehend im Hintergrund; ist gar ein wenig geheimnisvoll.
Thiel wuchs in einem klerikal geprägten Umfeld auf. Bereits 2014 sprach er über angebliche Parallelen zwischen christlichem Glauben und technologischem Fortschritt. Beide, so Thiel, teilten die Hoffnung auf eine radikal andere Zukunft. Der Verlust des Transzendenten hingegen, die Gottlosigkeit sei ein zivilisatorischer Rückschritt: Der Mensch beginne, sich obsessiv mit seinem Nachbarn zu vergleichen. die Zehn Gebote, so Thiel, seien eine Anleitung zur geistigen Unabhängigkeit. Wer „nach oben blicke“ bewahre sich Autonomie, Kreativität und Mut zum Andersdenken: „Die Verabschiedung von den Zehn Geboten, die Verabschiedung von Gott führen zu Herdenverhalten, zu einem falschen, aufgezwungenen Konsens.“
Aus dem Tech-Visionär wurde inzwischen ein Verfechter autoritärer, extremistischer Ideen; Thiel ist einer der maßgeblichen Strippenzieher hinter dem kulturellen Rechtsruck in den USA. Er hält sich an libertäre, rechte und antidemokratische Denker. Dass Carl Schmitt dazu gehört, ist nahezu selbstverständlich; der Schmittsche Dezisionismus, wonach jede Rechtsordnung „auf einer positiven Bestimmung, das heißt auf einem Befehl, beruht“, ist sozusagen passgenau. Die politische Dimension dessen liegt darin, dass es bei (juristischen) Entscheidungen auf die Entscheider ankomme und weniger auf den Inhalt und die Begründung der Entscheidungen – „Der Führer schützt das Recht […]“ (Schmitt).
Von Ayn Rand (1905 – 1982) werden dagegen die Wenigsten gehört haben; eine russisch-US-amerikanische Autorin. Ihr extremer Individualismus brachte sie dazu, Kant als ihren philosophischen Gegenspieler zu sehen: sie glaubte, dass seine Erkenntnistheorie die Vernunft untergrabe (sic!) und seine Ethik dem Eigennutz entgegenstehe. Sie sah ihn als „den bösesten Mann in der Geschichte der Menschheit“. Der Laissez-faire-Kapitalismus sei das einzige moralische Gesellschaftssystem, da er individuelle Rechte schütze. „Rand hasste den Staat wie jedes Kollektiv. […] Bis heute wird die Autorin vom Silicon Valley bis an die Wall Street kultisch verehrt“, so Tom Schimmeck. Auch von Thiel. Wie willig der Rand folgt, belegt seine folgende Aussage: „Since 1920, the vast increase in welfare beneficiaries and the extension of the franchise to women […] have rendered the notion of ‚capitalist democracy‘ into an oxymoron.“ („Seit 1920 haben der enorme Anstieg der Sozialhilfeempfänger und die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen […] den Begriff ‚kapitalistische Demokratie‘ zu einem Widerspruch in sich selbst gemacht.“).
2016 veröffentlicht der heutige Vizepräsident der USA, J.D. Vance, seine Autobiografie „Hillbilly Elegy: A Memoir of a Family and Culture in Crisis“ („Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise; 2017 auch auf Deutsch erschienen). Thiel liest das Buch; ist beeindruckt vom Werk und der politischen Perspektive des Autors. Vance kritisiert seinerzeit Trump scharf; nennt ihn „Betrüger“, „kulturelles Heroin“, gar „Faschist“. Im Magazin The Atlantic spricht er Trump jegliche Kompetenz ab: „Was Trump anbietet, ist eine einfache Erlösung vom Schmerz. Für jedes komplexe Problem verspricht er eine einfache Lösung. […] Er bietet nie Einzelheiten dazu an, wie diese Pläne funktionieren werden, weil er es nicht kann“.
Doch zu gleichen Zeit erhielt Trump Geld von Thiel – und dieser dafür einen Beraterposten in dessen erster Regierung. Damit wurde Thiel zu einem der frühesten Unterstützer Trumps aus dem Silicon Valley, dessen Tech-Elite damals noch stramm hinter den US-Demokraten stand. Der Widerspruch – den Trump-Kritiker Vance politisch zu „mögen“ und zugleich Trump zu unterstützen – macht Thiels Denken und Agieren deutlich: Strategisch, nicht dogmatisch; politische Einflussnahme steht im Vordergrund, nicht ideologische Reinheit. Thiel sah in Trump einen „Sprengsatz“ gegen das politische Establishment – genau wie in den Technologie-Startups, die alte Branchen aufbrechen. Im hochintelligenten Vance, immerhin Absolvent der Yale Law School, erkannte Thiel einen kommenden politischen Spieler mit intellektuellem Potenzial und populistischer Anschlussfähigkeit.
Nachdem Vance ins Silicon Valley gezogen war, wo er auch für Thiels Investmentfirma Mithril Capital arbeitete, soll Thiel Vance zu einer aktiven politischen Rolle ermutigt haben. Und wurde später zu einem der wichtigsten finanziellen Unterstützer von Vances‘ Senatskampagne in Ohio im Jahr 2022. Thiel spendete insgesamt 15 Millionen US-Dollar an ein sogenanntes Super-PAC, das die Kandidatur unterstützte – ein außergewöhnlich hoher Betrag für ein einzelnes „Rennen“. Im November 2022 wurde Vance in den US-Senat gewählt. Er mutierte vom scharfen Trump-Kritiker zum Trump-nahen, anti-globalistischen Senator; in Reden fordert er, 2022 zum Katholizismus konvertiert, eine „amerikanische politische Religion“ – ganz im Sinne Thiels.
Die aktuelle amerikanische Führungsschicht müsse man, so Vance, „komplett ersetzen, wie einen Tumor herausreißen“. Auch das trifft Thielsche Vorstellungen. Der zog sich zwar öffentlich aus der Politik zurück, aber sein Einfluss bleibt über Figuren wie Vance bestehen. Mehr noch – manches deutet darauf hin, dass beide ein enges strategisches Verhältnis, sowohl politischer als auch persönlicher Natur, haben. Und dass Vance – er wird in Kürze erst 41 – Trump im Weißen Haus beerben soll, dürfte außer Frage stehen.
Kernpunkt von Thiels Agenda ist die Verquickung von libertären Idealen und Vorstellungen mit einem nationalen Konservatismus. Er ist Verfechter von deutlich weniger staatlicher Regulierung und „Einmischung“ sowie mehr individueller Freiheit, gleichzeitig Befürworter traditioneller Werte und einer starken nationalen Identität. Er kritisiert die Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft und steht hinter der Forderung, möglichst wenig Steuern zu zahlen. In Thiels Wahrnehmung liegt die Möglichkeit für gesellschaftliche Veränderungen quasi ausschließlich in der Technologie; er unterstützt heute Projekte, die auf die Erforschung von Langlebigkeit und die Entwicklung neuer Lebensformen abzielen Dazu gehören die Idee schwimmender libertärer Städte und eine umfassende Kontrolle des „Volkes“, das nur noch als „User“, soll heißen als Käufer der von den Tech-Konzernen angebotenen Leistungen eine Funktion hat. An immer elaborierteren Überwachungstechnologien arbeitet derweil Palantir.
Thiel ist bestens vernetzt. Eine „Masche“ im Netz bildet der rechte Blogger Curtis Yarvin. Auf seinem Sprachrohr Gray Mirror jubelte der: Trump zupfe „nicht an ein paar Fäden des Gordischen Knotens, der zwischen ihm und der Ausübung seiner Exekutivgewalt steht. Er reißt riesige Stücke heraus.“. Die moralische Energie der Exekutive, so Yarvin weiter, sei plötzlich um ein vielfaches Größer als die des administrativen und sogar des judikativen Bereiches der Macht. Carl Schmitt lässt grüßen. Yarvin verfolgt eine Philosophie, die er unter dem Motto „Wie ich lernte, die Demokratie zu hassen“ formulierte; sie gipfelt in einer Form autoritärer Machtübernahme, die er selbst „Caesarismus“ nennt. Von Kommentatoren sehen dies aber treffender als eine Art von Silicon-Valley-Diktatur. Und das, was darin beschrieben wird, gleicht der US-amerikanischen Realität dieser Tage auf gespenstische Art und Weise.
Es liegt mehr als nahe, dass Thiel zu Yarvins Förderern gehört. Yarvins Thesen bilden die Basis einer neuen intellektuellen Bewegung, die sich „Dark Enlightenment“ (Dunkle Aufklärung) nennt; es schließt sich der Kreis zu Rands Verdammung der Kantschen Aufklärung.
Thiels Weltbild enthält eine religiös-apokalyptische Seite. Den Antichristen sieht Thiel in einem „Welteinheitsstaat“; Institutionen wie EU oder UN gelten ihm als Vorboten einer globalen Überwachungsdiktatur, die den Menschen unter dem Deckmantel von „Frieden und Sicherheit“ unterjochen wolle. Die Hoffnung auf Rettung liege in der christlichen Apokalyptik – im Katechon, dem „Aufhalter“. Nur diese geheimnisvolle Figur aus dem zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher könne den Antichristen stoppen. Schon Schmitt bediente sich ihrer als theologische Legitimation für politische Macht; auch hier schließt sich ein Kreis.
Thiels Credo und Wirken fußen auf der Synthese der übelsten antidemokratischen, antiaufklärerischen, antimoralischen und klerikal-reaktionären Versatzstücke, die westliches Denken bereithält. Er ist die Spinne in Netz der libertären US-Technokraten.
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