28. Jahrgang | Nummer 13 | 28. Juli 2025

Kiew: Antikorruptionsbehörden am Gängelband?

von Dieter Segert

Die Ukraine ist eines der Länder, die seit langem unter Korruption leiden. In einer Umfrage der „Democratic Initiatives Foundation“ im letzten Jahr wurde von den Befragten der Kampf gegen Korruption als das wichtigste Problem des Landes bezeichnet. „Transparency International“ schätzt ein, dass die Ukraine in einem Ranking von 180 Ländern auf Platz 105 steht (je niedriger die Zahl desto besser die Lage). Damit wird das Land in dieser Hinsicht besser als Russland eingeschätzt, das auf dem 154. Platz steht, was aber wenig tröstlich ist.

Besonders problematisch für ein Land im Krieg ist die Korruption in den Streitkräften, in die einige hochrangige Beamte verstrickt waren und die letztlich zur Ablösung des Verteidigungsministers Olegsij Resnikow im September 2023 geführt hat. Es wird auch wiederholt von Korruptionsfällen in der Behörde berichtet, die für die Einberufung von Soldaten zuständig ist. Einige regionale Chefs dieser Behörde sind wegen der Freistellung von Einberufenden vom Militärdienst gegen Geldzahlungen verhaftet worden.

Für den Kampf gegen das verbreitete Übel wurde 2014 im Gefolge des zweiten Maidan eine unabhängige Behörde geschaffen, das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) sowie eine spezielle, eigenständige Staatsanwaltschaft. Die Einrichtung dieser Institutionen wurde sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von USA und der EU unterstützt.

Am 21. Juli 2025 meldeten ukrainische Zeitungen Razzien und Hausdurchsuchungen bei mindestens 15 Mitarbeitern des NABU im ganzen Land durch den Inlandsgeheimdienst SBU und die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine. Ein Mitarbeiter des NABU und ein mit ihm in Verbindung stehendes ehemaliges Parlamentsmitglied, das aber seit Kriegsbeginn im westlichen Ausland lebt, werden verdächtigt, für Russland spioniert zu haben. Das ist der offiziell genannte Grund für die landesweite Aktion. Allerdings, so berichtete Tagesschau 24, wird in der Ukraine vermutet, dass es sich bei den Razzien auch um eine Reaktion von Präsident Selenskij auf die Korruptionsermittlung des NABU gegen einen seiner engeren Vertrauten, den stellvertretenen Ministerpräsidenten Oleksij Tschernyschow, handeln könnte.

Einen Tag nach den Razzien und Hausdurchsuchungen verabschiedete das Parlament, die Verchovna Rada, mit den Stimmen der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ und der Partei Julija Timoschenkos ein Gesetz, das NABU und Antikorruptionsstaatsanwaltschaft dem vom Präsidenten ernannten Generalstaatsanwalt unterstellt und somit deren Unabhängigkeit beseitigt. Dagegen protestierten in einigen Städten des Landes Mitglieder von Antikorruptions-NGOs und forderten den Präsidenten auf, das Gesetz nicht zu unterschreiben. Dieser hingegen setzte es durch Signum und Veröffentlichung noch am selben Abend in Kraft. Das geschah, obwohl auch die Botschafter der G7-Staaten sich besorgt über die staatliche Aktion gegen das NABU gezeigt hatten.

Was sind die Gründe für diese spektakuläre Aktion des ukrainischen Präsidenten und seiner Anhänger? Eine Stellungnahme der früheren Ministerpräsidenten Julia Timoschenko gibt einen ersten Anhaltspunkt. Sie sagte, wie n-tv berichtet hat, folgendes während der Debatte um die Verabschiedung des Gesetzes: „Das ist für mich ein strahlender Tag in diesem Parlament. Denn das erste Mal haben wir uns davon überzeugt, dass die Kolonisierung der Ukraine kein Allheilmittel für all unsere Probleme ist.“

Die unabhängige Korruptionsbekämpfung war immer eine Forderung der westlichen Unterstützer der Ukraine. Die EU hatte eine unabhängige Behörde zum Kampf gegen die Korruption begrüßt. Präsident Trump hatte in seiner ersten Regierungsperiode vom NABU Unterstützung für seinen Kampf gegen Jo Biden gefordert – die Ukrainer sollten belegen, dass Bidens Sohn Hunter sich in der Ukraine mit Hilfe seines Vaters bereichert hätte. Es ist auch berichtet worden, dass die führenden Positionen in den Antikorruptionsbehörden nicht ohne Zustimmung westlicher Partner besetzt werden konnten. Wenn jetzt von „Kolonisierung“ die Rede ist, so geht es offenbar um genau solche westlichen Einflussnahmen auf die ukrainische Politik.

Ein zweiter Grund, zumindest aber eine Folge der jetzigen Unterstellung der beiden bisher unabhängigen Behörden unter den von Selenskij ernannten Generalstaatsanwalt, ist die weitere Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten und seiner Unterstützer. Diese war teilweise eine Folge der besonderen Bedürfnisse der Staatsmacht in Kriegszeiten. Sie schwächt aber gleichzeitig die Ausprägung der Demokratie.

Eine Verstärkung der autoritären Züge der Macht zeigte sich auch in aktuellen Personalentscheidungen wie der Neubesetzung des Ministerpräsidentenamtes durch Julija Swyrydenko, die eine Verbündete Andrij Jermaks ist, des mächtigen Chefs der Präsidialverwaltung. Mit an die Leine gelegten Antikorruptionsbehörden ist die Mannschaft von Selenskij und Jermak vor weiteren unangenehmen Überraschungen wie Anklagen gegen eigene Verbündete sicherer.

Die scharfe Reaktion der EU auf die Gesetzesänderung hat dann doch noch Wirkung gezeigt: Der Präsident kündigte einen neuen Gesetzesentwurf an, der die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden wieder herstellen soll. Noch ist er nicht beschlossen, doch die ukrainische Zeitung Strana kündigte schon an, dass Selenskijs Macht einen deutlichen Dämpfer erhalten habe und es durchaus möglich sei, dass die Suche nach Sündenböcken für diese Niederlage die ganze autoritäre „Machtvertikale“ beschädigen könnte.

Das wäre für die Ukraine keine schlechte Entwicklung.